Wo ich aufgewachsen bin, wird nicht hinter jeder Ecke eine Gewalttat vermutet. Dort tritt man fremden Menschen nicht mit Misstrauen entgegen.
Die Ortschaften, durch die ich regelmäßig fahre, sind so unterschiedlich wie die Menschen dort. Die Menschen, die am Straßenrand stehen, ihren Daumen in meine Richtung halten und ein Stück mitgenommen werden möchten. Ja, ich nehme gerne „Anhalter“ mit. Und in ländlichen Gegenden stehen sie häufig – und auch häufig sehr lange, bis endlich ein Autofahrer anhält. Ich halte beinahe bei jedem an.
Man weiß nie so recht, ob man den Anhalter direkt in ein Gespräch verwickeln sollte, oder doch lieber brav die Klappe hält, bis das gewünschte Ziel erreicht ist. Darf man so dreist sein und Fragen stellen? Ich bin meist so dreist. Oder eher so neugierig. Menschen faszinieren mich. Ihr Innenleben interessiert mich. Am liebsten würde ich sie studieren und irgendwann zu einem erfolgreichen Abschluss kommen. Es würde imposant klingen, würde man behaupten können, man habe den Doktor der Menschen. Oder den Professor der Menschheit.
Ich glaube, würde ich solch seltsame Gedankengänge den diversen Mitfahrern offenbaren, würden sie mich bitten anzuhalten, da sie noch mal zurück trampen müssen, weil sie etwas daheim vergessen haben. Bisher wollte noch niemand vorzeitig aussteigen. Im Gegenteil, manche klammern sich sogar gewaltsam an die Armaturen, den Haltegriff oder den Sitz.
Menschen die per Anhalter fahren, gehören meist zu den freundlichsten und dankbarsten ihrer Spezies. Am liebsten sind mir diejenigen, die eine weite Strecke vor sich haben und oft schon aufgrund dessen sehr redselig gestimmt sind. Sie erzählen von sich aus, wohin sie möchten, was sie dort tun, was sie allgemein tun, wie oft sie diese Strecke fahren, warum sie überhaupt per Anhalter fahren, wo sie wohnen, wie sie leben, was sie aus ihrem Leben machen möchten. Und nur wenige von ihnen stellen Fragen.
Der erste Anhalter, den ich jemals mitgenommen habe, war erst 16 Jahre alt und wollte zu seiner Freundin mitgenommen werden. Er hatte vor, in dieser Nacht das erste Mal mit ihr zu schlafen. Zuvor war er nach einem Streit mit seinen Eltern, bei dem es um seine Noten und seine Zukunft ging, von zu Hause abgehauen.
Dann war da noch ein Mädchen, das im Methadonprogramm war und Sorge hatte, schwanger zu sein. Sie wirkte sehr eingeschüchtert, obwohl sie sehr abgeklärt über das Leben sprach.
Eine Frau im Hochzeitskleid nahm ich mit. Sie flüchtete vor ihrer eigenen Hochzeit, zu der sie eigentlich keine Lust hatte.
Außerdem saßen noch eine Menge eher unscheinbarer und langweiliger Menschen neben mir, die alle ungefähr das gleiche erzählten. Selbstverliebte Geschichten über Alltag, Job, Liebe, Familie. Immer die selben Themen, die irgendwann anfangen zu nerven.
Keiner von ihnen erreichte je sein Ziel. Weder im Leben, noch bei dieser letzten Autofahrt. Wie gesagt, ich interessiere mich sehr für ihr Innerstes!

,,Keiner von ihnen erreichte je sein Ziel. Weder im Leben, noch bei dieser letzten Autofahrt“. Klingt nach der Lebensbeichte eines Serienkillers. Darf man erfahren, in welchem Waldstück du all diesen Leuten den Ypsilonschnitt verpasstest um dein reges Interesse an deren Innerstem zu stillen?
Hab sie mit zu mir genommen. Sitzen alle zusammen im Keller. Ausgestopft versteht sich. Sie mögen sich und kuscheln miteinander.
:D
Total crank!