Der fantastische Ausflug

Du trittst eine Reise an und bist auf dem Weg zu mir, der ein beschwerlicher ist. Die Gestalten die ihn hüten und bewachen, wirken angsteinflößend. Starr lauern und beobachten sie mit gefährlich funkelnden Augen, lassen dich jedoch passieren. Der schmale Pfad führt am Ende über eine kleine Treppe hinunter zu mir. Das Wachs der abgebrannten Kerze läuft über deine Finger, doch du spürst keinen Schmerz. Sie flackert noch einmal nervös auf, als würde sie sich fürchten, bevor sie erlischt und dich im Dunkeln stehen lässt. Du bist aufgeregt und setzt zum Klopfen an, als du vor dem Eingang zum Stehen kommst. Ich wusste, dass du hier sein wirst und öffne dir die Tür. Du blickst auf mich herab in meine farbige Welt. Mit einer einzigen Bedingung, bitte ich dich einzutreten. Du musst die Schuhe und den Trott zurück lassen.

Barfuss gehst du durch das Portal und schrumpfst sogleich auf meine Größe. Die Tür lasse ich angelehnt, damit du die Reise jederzeit beenden kannst, falls es dir nicht gefällt. Zögerlich siehst du dich um und ich führe dich über eine weiche Wiese, ganz ohne Hindernisse, ohne Richtung und ohne Ziel. Und doch kommen wir dort an, wo wir hin wollten, ohne es zu wissen. Wir müssen leise sein, bis wir uns von Bäumen umzäunt an einem kleinen Teich vorsichtig auf dem duftenden Gras niederlassen. Die Pilze, die rechts und links von uns wachsen, rücken besitzergreifend zusammen, wollen uns deutlich machen, dass wir nur zu Gast sind an diesem zauberhaften Ort. Eine kleine Spinne markiert ihr Revier mit einem großen Netz zwischen zwei Bäumen und beobachtet uns misstrauisch, die Bienen besetzen die Blumen, damit wir nicht auf die Idee kommen, sie zu pflücken oder ihren Duft wegzuatmen und der Marienkäfer duldet uns nur, weil wir in der Lage sind, seine Punkte korrekt zu zählen. Erst als die Sonne uns freundlich glitzernd auf der Wasseroberfläche begrüßt, auf der auch Enten unbeschwert ihr Dasein genießen, erwacht der Ort zum Leben und zeigt sich von seiner schönsten Seite. Der warme Wind, der zuvor versucht hat uns zu ärgern, zieht sich flüsternd in die Wipfel zurück, lässt die Äste sanft wiegen und die neugierigen Blätter zu Boden fallen.

Mit angewinkelten Beinen sitzt du neben mir auf der Erde, umgeben von Sommerduft aus Blüten und frischem Heu und siehst mich fragend an. Kaum schlage ich mein Buch auf, aus dem ich dir vorlesen möchte, krabbelt mir ein keckes Wort ganz flink über den Zeigefinger. Es hat seine Freiheit erkannt und sucht sich sogleich einen Weg durch das Gras, klettert einen Halm hinauf und fällt unter unseren belustigten Blicken wieder hinunter. Du setzt es vorsichtig zurück an seinen Platz und bekommst dafür einen dankbaren Blick von dem Ausreißer. Ich blättere um und schon fallen weitere freche Wörter hinaus. Die schüchternen linsen nur aus ihren Seiten heraus, während die Angeber aus dem ersten Kapitel auf die Bäume klettern und sich von dort oben ins Wasser fallen lassen. Amüsiert sehen wir zu, wie die schweren untergehen, die leichten vergnügt umher schwimmen und die besonders lustigen die Enten ärgern. Ein paar verliebte Worte gehen lieber spazieren und die verträumten werfen Steinchen ins Wasser, damit die kreativen die Ringe der kleinen Wellen bunt bemalen können.

Auf der nächsten Seite fangen die Buchstaben an, wirr durcheinander zu wirbeln. Sie erheben sich gemeinsam wie Herbstlaub im Wind und tanzen in wilden Formationen über unseren Köpfen. Sie werden schon bald müde und gleiten sanft wie eine Feder nach unten, bis sie auf der Wasseroberfläche liegen bleiben, um sich auszuruhen. Ein schillernder Fisch ergreift seine Chance und schnappt nach ihnen, schluckt sie alle runter und singt uns kurz darauf ein schönes Lied auf seiner nassen Bühne, indem er die Buchstaben wieder in die Luft pustet. Die zuvor entsprungenen Worte versammeln sich, um ihm zu lauschen, sonnen sich auf einem Stein der halb ins Wasser ragt, die ganz großen lassen ihre Beine hineinbaumeln. Selbst die Bäume scheinen sich im Rhythmus zu wiegen, während ein Specht den Takt vorgibt.
Kaum hat der Fisch sein Konzert beendet, wissen die Wörter, dass es Zeit ist, nach Hause zu gehen. Eins nach dem anderen hüpfen sie auf ihren Platz zurück. Nur eines weigert sich: die Leichtigkeit. Wir lassen sie noch ein wenig mit den Pusteblumen toben, wofür sie uns mit ausgelassenem Lachen belohnt. Wir sitzen nur da, beobachten, reden ein wenig, während die Zeit hastig durch die Gräser rast, ohne uns dabei zu stören.

Nun, da der Weg zum Wasser nicht mehr von dem wilden Schauspiel versperrt ist, beugst du dich hinüber, um das Kerzenwachs von deinen Händen zu waschen. Freche kleine Kaulquappen ziehen schöne Muster um dich herum, woraufhin dir die kleinen Wellen, für deinen Glauben an sie, einen sanften Streichelkuss auf deine Haut haften. Sie überreichen dir, wie dahergewünscht, vom Teichboden aus ein persönliches Geschenk. Mit beiden Händen hebst du die unverpackte Kugel vorsichtig aus dem Wasser und bestaunst nun deine eigene Welt. Stolz und glücklich möchtest du sie mir zeigen, als die Dämmerung die Leichtigkeit überraschend zurück ins Buch ruft, sodass ich es zuklappen kann. Spontan verabschiedet sich die Sonne mit einem roten Gruß am Himmel und führt uns zum Mond, der uns treu und milde auf dem Rückweg begleitet. Es war längst Zeit.
Noch immer leicht ungläubig, versuchst du auf dem Weg alle Eindrücke in dich aufzusaugen, während du dein Geschenk beschützend umklammerst und dir vergnügt Gedanken machst, wie du sie gestalten könntest.
An der Tür angekommen, lädst du mich freudig zu einer Reise durch deine leuchtende Welt ein. Doch ich habe keine Schuhe.

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