„Seit der kleine Paul unser Leben bereichert, ist unser Sexleben nicht mehr existent.“, war der bisher ehrlichste Satz einer befreundeten Mutter. Je älter ich werde, desto mehr Mütter lerne ich kennen oder meine alten Freunde, mit denen ich so viele Erinnerungen an jugendlichen Leichtsinn teile, verwandeln sich in düster dreinblickende Mütter, die durch chronischen Schlafmangel an einen schlechten Zombiefilm erinnern. Andernfalls wirken sie überschwänglich glücklich, wenn man sie zu einem fünfminütigen Smalltalk auf der Strasse trifft und nun nicht mehr von sich selbst und ihrem Leben erzählen, sondern von Tim, Larissa, Lilly-Ann, Luca, Paul, Emily, Lana, Haily, Raphael und Fenja. Die meisten davon hab ich, wenn überhaupt, erst ein Mal gesehen, weiß aber schon mehr über die kleinen Mitbürger, als sie von sich selbst. Raphael hat schon vier Zähne und geht schon aufs Töpfchen; Lana saß letzte Woche auf einem Pferd und wird nun von der euphorischen Mutter wöchentlich zu einem Reiterhof geschleppt; Emily hatte ganz fürchterlichen Ausschlag am Hintern, der erst nach Behandlung mit einer bestimmte Salbe aus der Apotheke, die 18 Euro für 20 ml gekostet hat, abklingen wollte; Haily geht nun zum Kinder-Yoga und ist dort schon am weitesten von allen gleichaltrigen Kindern. Alle sind ja so unglaublich stolz! Besser, klüger, schöner, größer, intelligenter….!
Wer will denn so etwas wissen? Warum muss es mich interessieren, welchen Kopfumfang der kleine Luca bei seiner Geburt hatte und welche Höllenqualen seine Mutter deswegen erleiden musste? Warum sollte ich sehen wollen, wie man das zwei Wochen alte Kind wickelt und ihm die Brust gibt? Wer will hören, dass die ehemalige Klassenkameradin eine verhärtete Narbe vom Kaiserschnitt hat und deswegen beim geplanten zweiten Kind wieder einen Kaiserschnitt wünscht, damit die Narbe anschließend „ausgebessert“ werden kann? Und weshalb sollte ich das gerade gestillte Kind auf den Arm nehmen wollen, damit es mir dann über die Schulter kotzt?
Am schlimmsten wird es, wenn Mütter aufeinander treffen. Dann wird verglichen: wer kann was, wer ist schon mit zwei Lebensjahren in welchem Verein, wer hat die lustigere Anekdote, wer den besseren Kinderarzt, wer schläft am liebsten in welcher Position und wie lange schläft das Kind durch.
Als Außenstehende ohne Kinder kann ich mich an dem aufgeregten Gegacker nicht beteiligen und beobachte deswegen lieber die ausladenden Gestiken und den Glanz in den Augen der vor Stolz triefenden Gesichter. Wie ärgerlich es doch ist, dass ich die Ohropax vom letzten Festivalbesuch erst neulich aus meiner Handtasche aussortiert habe. Komplettes Ausklinken funktioniert nicht, weil die Mütter während ihrer Hymnen immer wieder versuchen, einer potentiellen Kandidatin ihres „Clubs“ die Vorteile des Mutterdaseins aufzuzählen und einem schon Jahre vor einer möglichen Befruchtung Tipps geben wollen, wie man sich am besten für einen Kindergartenplatz bewirbt und wie man den Partner dazu bewegt, auch mal Windeln zu wechseln oder nachts aufzustehen, wenn der Nachwuchs aufwacht und brüllt.
Da bahnt sich ein interessantes Thema an: Bedürfnisse der Zöglinge, Neuordnungen der Rollenverteilung der nun eigenen Familie, finanzielle Möglichkeiten und Kapazitäten, Freiheitsverlust, Betreuungsaufwand, Selbstaufgabe, Karriereverlauf, Sexleben, eigener Gesundheitszustand inklusive Schlafrhythmus.
Das sind Themen, auf die Mütter entweder gar nicht, oder nur im Kreise der „Wissenden“ zu sprechen kommen. Aber einmal angesprochen, bereut man es schnell, den Redefluss ins rollen gebracht zu haben. Denn dann wird gejammert, wie anstrengend das doch alles ist, wie viel so ein Kind kostet, wie wenig sich der Partner um das Kind kümmert (zumal der Partner ja auch arbeiten geht um die neue Familie zu ernähren) und wie viele Träume sie nun aufgeben mussten, um ihrem Kind etwas bieten zu können.
Von der früheren Freundin, mit der man auch mal ein Wochenende durchfeiern konnte und die in der Schulzeit immer heimlich mit einem rauchen gegangen ist um dann gemeinsam nachzusitzen, obwohl sie selbst gar nicht raucht, ist nicht viel übrig geblieben, außer einer Mutter. Sie denkt nicht mehr im „Ich“, sondern in der neuen Einheit „Wir“. Und dass ihr Kind nicht dieselben Interessen hat wie sie, ist selbstredend.
„Ich erfreue mich nun auch an den Kleinigkeiten des Lebens.“, sagt sie mir. Eine der Kleinigkeiten ist wohl auch, dass sich jemand aus ihrem früher existierenden Freundeskreis dazu erbarmt hat, mit ihr einen Kaffee trinken zu gehen, damit sie für zwei Stunden etwas anderes als ihren Haushalt und die ganzen Kinderspielsachen sieht. Sie selbst redet sich ein, dass sie dann „endlich auch mal wieder über normale Themen“ reden kann, merkt dabei aber gar nicht, dass es eigentlich ungefragt nur um eine Sache geht. Das Erstgeborene.
Da sie keinen Babysitter gefunden hat, hat sie das Kind natürlich mit dabei, das in dem Kinderwagen schläft, der von der Mutter liebevoll hin und her gewogen wird, während sie von Babyanekdoten erzählt, denen ich nicht mit halb so viel Begeisterung folgen kann.
Das Erfreuliche daran ist, dass man selbst eine Mutter hat, die vermutlich genauso von einem geschwärmt hat und man, obwohl man anscheinend für viele Schmerzen, Sorgen, Falten und graue Haare verantwortlich ist, bis ans Lebensende unendlich geliebt wird. Und das nur, weil es eben die Mutter ist, die alles verzeihen kann, wenn das Kind sie nur einmal anlächelt.

Die Situation ist so hautnah rübergebracht, dass sie sogar Zugang zur männlichen Verständnisbereitschaft findet. Unheimlich plastisch und realitätsnah geschrieben.
P.S.: Emily wäre der ,,fürchterliche Ausschlag am Hintern“ sicherlich erspart geblieben, wäre sie (und das ist sie bestimmt!) nicht vor einiger Zeit gegen irgend etwas geimpft worden. Stichworte: Formaldehyd und Quecksilber als Konservierungsmittel in Impfstoffen. Reaktionen in Form nicht identifizierbarer Hautausschläge als Langzeitfolge nicht ausgeschlossen.
Du nimmst mir die Worte aus dem Mund, nyx. Als unser erster Balg auf der Welt war und wir mit dem Kinderwagen Spaziergänge gewagt haben, wusste ich bereits an der heranrollenden Front fremder Kinderwagen, dass in Kürze dieser Rotzaffenabgleich stattfinden würde, egal ob man diese Leute kennt, kennenlernen will oder versucht einen großen Bogen zu schlagen. „Blabliblubb, unser Sören-Sophokles baut schon eigenständig architektonische Meisterleistungen aus seinen Kackhaufen (ein für die erfreuten Erzeuger eindeutiger Indiz für eine Karriere in der Baubranche) und kann inzwischen 72 Wörter sprechen … UND IHR KIND?! SIEHT ETWAS ZURÜCKGEBLIEBEN AUS DER KLEINE, WAS?!“ Unerträglich auch, wenn sich Eltern, vor allem Mütter komplett aufgeben, um dem Balg den Garten Eden zu bereiten. Es bleibt keine individuelle Subststanz der Frau erhalten, nur das latente Gefühl eines Schwelbrands, der irgendwann den Verlust des eigenen Ego in ein verbales Flammeninferno verwandeln wird. Es gibt auch Ausnahmen, die in ihrem Altruismus vollständig untergehen und damit für Männer völlig unattraktiv werden (siehe „kein Sexleben“).
,, R O T Z A F F E N A B G L E I C H “ – Was für eine Wortkreation
Fast nicht mehr zu toppen!!!!
„Und das nur, weil es eben die Mutter ist, die alles verzeihen kann, wenn das Kind sie nur einmal anlächelt.“
Auch das vergeht.
Sobald die Brut das Flegelalter erreicht, wird eh nur noch frech gegrinst statt gelächelt. Und dann ist´s für das Ersäufen in der Regentonne zu spät.