Universelle Problematik

„Ich weiß bald nicht mehr, was ich noch alles machen soll.“ Frustriert und etwas hoffnungslos studiert sie den Inhalt ihres Trinkbechers.
Wie jeden Sonntag treffen sich die beiden Schwestern, um den neuesten Klatsch und Tratsch auszutauschen. Normalerweise genießen sie diese gemeinsame Zeit und unterhalten sich sehr ausgiebig über dies und das und das gesamte Universum. Nur dieses Mal scheint die Venus, die zu Anfang des Treffens ungewöhnlich gut gelaunt war, zunehmend abwesender und abweisender zu sein. Immer wieder kontrolliert ihre jüngere Schwester die aktuelle Zeit und mustert ihre Umgebung, wischt wie zufällig den Staubfilm ab, der sich sofort wieder neu bildet.

Die Erde denkt sich nicht viel dabei und ignoriert das merkwürdige Verhalten, schiebt es auf die Hormone die durch ihren Freund Merkur immer wieder durcheinander gebracht werden. „Nun hab ich schon so viel versucht, um diese Parasiten loszuwerden“, setzt sie wieder an. „Und doch scheinen sie sich eher zu vermehren, als zu verschwinden.“ Genervt verdreht die strahlende Kugel ihre Augen und entgegnet mit geheuchelter Aufmerksamkeit: „Hast du das Thema nicht langsam satt? Immer wieder sprechen wir darüber. Anscheinend gibt es keine Lösung für dein Problem!“ Leicht erbost sieht sie das erste Mal an diesem Abend von ihrem Getränk auf und entgegnet bissig, dass es bisher noch immer für jedes Problem eine Lösung gab, man nur manchmal etwas länger darüber nachdenken müsse. Ihr Blick schweift dabei an ihrer heute Abend außergewöhnlich strahlenden Schwester vorbei und trifft auf den Mond. Er scheint ihr schon wieder gefolgt zu sein. Unsicher, ob sie sich von seiner Umschwärmerei geschmeichelt oder belästigt fühlen soll, macht sie die Jüngere auf ihn aufmerksam. Diese blickt hinter sich und muss nun doch schmunzeln. Auch er wurde beinahe jedes Mal Thema, wenn sie sich trafen, doch versteht und toleriert sie dies, da er der bisher Einzige war, der ernsthaftes Interesse an der Erde bekundete. Er hält sich immer auf Abstand und beeinflusst sie dennoch.

Verlegen richtet die Erde ihren Blick wieder auf den Becher, als würde sie darin die Antworten lesen können, nach denen sie schon so lange sucht. Da wittert die nun wieder aufgeregte Venus ihre Chance und ergreift nun selbst das Wort. Sie erzählt wie so oft völlig verliebt von ihrem Merkur. Sie habe eine Sternschnuppe von ihm geschenkt bekommen. Die erfahrenere Erde verstand noch nie, was ihre attraktive Schwester an ihm findet, zumal er auch sehr viel kleiner als sie ist. In ihren Augen ist er nichts weiter als ein Macho, der es nur zum Erfolg gebracht hat, indem er sich bei der Chefin Sonne eingeschleimt hat. So nahe wie er, kommt der Quotenfrau sonst keiner, die zugegebenermaßen schon sehr heiß ist, aber sonst nicht viel kann, außer einflussreich zu sein. Die Unterstellung mit der Affäre verkneift sie sich. „Wenn man vom Teufel spricht!“, bemerkt sie knirschend, als Merkur direkt auf die beiden zusteuert, seinen Kumpel Mars im Schlepptau, der von allen MilkyWay genannt wird. Woher der Spitzname kommt, kann sie sich nicht erklären, aber vielleicht hat es mit der Schlägertruppe zu tun, bei der er sich immer wieder aufhält.

Da ihre Schwester nun nur noch Augen für ihren Freund hat, lehnt sie sich etwas eifersüchtig und schmollend zurück und hält das Gespräch für beendet. Als kurz darauf auch noch unerwartet der Gasriese Jupiter aufkreuzt, scheint es spannend zu werden. Mars, der sogleich anfängt rot aufzuleuchten und Jupiter können sich seit einigen Jahrhunderten nicht leiden. Was vorgefallen ist weiß keiner so recht, jedoch steht nun ein ganzer Asteroidengürtel zwischen ihnen. Jupiter ist der einflussreichste und zugleich auch Reichste unter den Planeten. Viele stehen in seiner Abhängigkeit, indirekt auch sie selbst. Er hält sich eigens für den Größten, schmückt sich mit Goldkettchen und brüstet sich mit gespielt italienischem Akzent. Den Spitznamen Königsstern hat er sich selbst verpasst, wird jedoch stets gehorsam von seinen dreiundsechzig Groupies so angesprochen.

Wo Jupiter ist, kann auch sein ebenso einflussreicher bester Freund Saturn nicht weit sein, der überschwänglich zu Venus stürmt und sie herzlich begrüßt. Der Frauenheld hat es mit der Monogamie noch nie so ernst genommen und trägt jederzeit offen seine vielen Ringe vor sich her. Das bringt die Erde auf die Idee, die beiden um Hilfe in eigener Angelegenheit zu bitten. Obwohl sie weiß, dass sie nicht sehr beliebt bei den beiden Riesen ist, trägt sie ihr Anliegen vor. Sie erzählt unverfroren von ihren Parasiten, die sie schon seit Jahrtausenden nicht los bekommt und schildert detailliert, wie sie sich selbst grundlos so sehr aufregen kann, dass ihr Innerstes rotglühend heraussprudelt, ihr Wasserhaushalt anfängt überzukochen und sich in Form von Flutwellen ausbreitet, oder sie anfängt zu beben und sich damit ihre Oberfläche selbst aufreißt, einzig damit ihr Leiden mit den Parasiten endlich ein Ende hat, intervenieren die beiden nun doch etwas schockierten und leicht angewiderten Zuhörer. Sie wollen wissen, was für sie dabei raus springt, wenn sie ihre Hilfe anbieten würden.

Während sie nach einer passenden Antwort sucht, beobachtet sie skeptisch, wie sich ihre Schwester angeregt mit Uranus unterhält, der immer so blassgrün um die Nase ist und sich sonst eher schüchtern zurück zieht, seit er in der Schulzeit wegen seines Namens gemobbt wurde.
„Wenn ich frei von Parasiten wäre, würdet ihr alle davon profitieren.“, wendet sie sich den beiden zu. „Erstens wäre die Gefahr gebannt, dass sie auf euch überspringen könnten und bei euch genauso viel Unheil anrichten wie bei mir…“ Die beiden bekommen große angsterfüllte Augen. „…und zweitens würde die Fotografiererei im Weltall endlich ein Ende haben und ihr könnt euch endlich wieder ungeniert von eurer besten Seite zeigen, ohne euch beobachtet zu fühlen.“ Stolz lächelt sie, ob ihrer tollen Argumente. Nach einem beratenden Blickaustausch sind sich die beiden einig, ihr mehrere helfende Vorschläge zu unterbreiten. Sie solle sich der Sonne nähern, die mit ihrem Einfluss die Parasiten wegbrennen könnte. Dies hatte die Erde jedoch schon mehrfach versucht. Dabei hat sie sich einen ordentlichen Sonnenbrand zugezogen und gestorben sind dabei nur wenige durch Waldbrände, Dürre und Hitzewelle. Dafür hätte sich der Schmerz nicht gelohnt.

Ihr Blick driftet immer wieder zu dem ungewöhnlichen Treiben ab. Verwundert stellt sie fest, dass nun auch der exzentrische Neptun unter den Gästen kreist, auf den die Erde schon immer ein Auge geworfen hatte, weil er so schön blau und viermal so groß wie sie ist. Zudem hält er als Einziger konstanten Kontakt zum kleinen Pluto, der sich ausgeschlossen fühlt, weil er nicht mehr zu den Planeten gehören darf. Leider wohnt Neptun zu weit weg und hat schon eine eigene Familie mit dreizehn Kindern, die er zum Glück aller nicht immer mit sich schleppt.

Ihre Tagträumerei wird durch einen weiteren Vorschlag der beiden Gasriesen unterbrochen. „Wir könnten dir so nahe kommen, dass sie einfach alle vergasen und somit ersticken?!“ Augenrollend wendet sie sich nun doch lieber ab, den Blick weiterhin auf das merkwürdige Getümmel gerichtet. „Danke Jungs, das hab ich schon vor ein paar Jahren durch mit so einer blöden Geschichte, die mich seither verfolgt.“ Sie hätte es eigentlich wissen müssen, dass aus den beiden Hohlkörpern nur unbrauchbare Vorschläge kommen. Gefrustet und etwas bang geht sie kleinlaut auf ihre Schwester zu: „Sag mal kann es sein, dass du heute Geburtstag hast und ich es einfach vergessen hab?“ „Macht doch nichts, du warst irgendwie schon immer mehr mit dir selbst beschäftigt. Vielleicht denkst du ja nächstes Mal dran, wenn es deine Parasiten geschafft haben, sich selbst auszulöschen.“, lächelt die Venus milde mit einem Hauch von Enttäuschung im Gesicht.

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