App to date

Ein langweiliger Tag ist prädestiniert dafür, anderen Menschen auf den Sack zu gehen. Natürlich nur Fremden, damit man nicht Gefahr läuft, irgendwann die Retourkutsche zu erhalten. Eigene Kinder würden sich auch noch anbieten. Früher reichte es ja, ein Kind einfach nur nicht zu schlagen, um ein guter Vater zu sein. Heutzutage muss man da etwas pädagogischer vorgehen und viel Lob verteilen, damit das Balg auch wirklich ordentlich verzogen und arrogant genug für die heutige Geschäftswelt wird. Bei fremden Kindern bekommt man es mit den kreischenden, prozesswütigen Eltern und deren Anwälten zu tun. So viel Aufregung muss dann heute doch nicht sein. Ich wollte es ja schließlich ruhig angehen lassen.

Habe beschlossen, ins Kino zu gehen. Eignet sich hervorragend, um sich ein bisschen auszutoben. Ziehe vorsichtshalber Tarnkleidung an, um mich schlimmstenfalls unbemerkt aus dem Staub machen zu können. Man weiß ja nie, was einen dort so erwartet, anonym im Dunkeln. Angle mir den besten Platz in der Mitte. In der Mitte zwischen zwei jungen Damen. Links von mir eine hübsche Blondine, bei der ich heute evtl. noch landen kann, rechts von mir ein Pärchen. Scheinen frisch verliebt zu sein, halten Händchen. Mal sehen wie lange noch. Ich, allein mit einer Tüte Chips bewaffnet, hab mir vorgenommen, das nervige Geschmatze eines Typen hinter mir zu übertönen. Tarnkleidung scheint zu funktionieren, werde bisher von niemandem wahrgenommen. Ist ja aber auch gar nicht so viel los heute. Wundert mich, ist doch erst halb elf an einem Wochentag.

Die Werbung beginnt. Ich liebe Spätvorstellungen, wo sonst bekommt man so großflächig nackte Frauenhaut zu sehen? Abgesehen von der stark übergewichtigen Lebensgefährtin, die frustriert daheim rumhockt, während man sich selbst in der Eckkneipe besäuft. Falls man eine hat, versteht sich. Also eine Lebensgefährtin. Jedoch tänzelt die vermutlich nicht lasziv mit einem Glas Bacardi vor der Nase rum. Zumindest hofft man das.

Der händchenhaltende Typ zwei Sitze weiter, gefällt mir. Er guckt immer wieder mal auf das grelle Display seines neumodischen Smartphones und geht seiner Freundin damit allen Anschein nach mächtig auf den Keks. Würde mich auch nerven, wenn ich neben so einem sitzen würde. Dabei fällt mir ein, dass ich ja noch eine SMS tippen wollte. Ernte böse Blicke von rechts, obwohl der Film noch nicht mal begonnen hat. Guter Einstieg. Grinse sie an und blende sie ein bisschen mit meinem alten Handy, bis sie sich wieder abwendet. Findet wohl das Smartphone cooler.

Der Film fängt an. Ich wette sie erhofft sich, während der gruseligsten Szenen des Horrorfilms in seinen beschützenden Armen zu landen. Tut sie gewissermaßen jetzt schon. Eine nervöse und vermutlich schweißfeuchte Hand liegt zumindest schon mal auf ihrem Schenkel. Überlege mir, ob ich meine Hand auch einfach mal auf dem Schenkel der Blondine links neben mir platziere. Sehe zu ihr rüber, um festzustellen, ob sie sich schon in mich verliebt hat und muss enttäuscht zugucken, wie sie ihre Popcorntüte mit einem Kerl zu ihrer Linken teilt, der wie aus dem Nichts aufgetaucht ist. Trägt wohl auch Tarnkleidung.

Knülle den Zettel in meiner Hosentasche wieder zusammen, auf den ich vorsorglich schon mal meine Telefonnummer notiert hatte. Sehe die Kränkung als Anlass, um einen Hustenanfall zu simulieren, als es gerade spannend wird. Das Mädel rechts schenkt mir einen besonders giftigen Blick, die Blondine links sieht mich nun doch ein bisschen verliebt an. Grinse sie breit an, woraufhin sie angeekelt wegsieht. War wohl eine blutige Szene im Film, die ich verpasst hab‘.

Versuche nun die Chipstüte zu öffnen. Gar nicht so einfach, sind ja heutzutage wirklich gut verschweißt, diese Plastiktüten. Verteile den Inhalt großzügig auf dem Schoß der Blondine. Sie soll ja nicht denken, dass ich geizig wäre. Sie freut sich jedoch gar nicht so sehr darüber, wie ich gehofft hatte. Mag wohl keine Cheese&Onion-Chips, zumindest rümpft sie die Nase, während sie mich mit ihren schönen Augen anfunkelt. Kann ich verstehen, da ich schon ein ziemlich toller Hecht bin. Auch das Naserümpfen kann ich nachvollziehen, da nun eine Dunstwolke aus Käsefüßen und Furz in der Luft hängt. Merke ich mir als Ausrede. Am besten immer eine Packung Chips bei sich führen.

Habe nun einen Grund, immer wieder mal in ihren Schoß zu greifen, um zu naschen. Findet sie wohl auch nicht so toll. Haut mir auf die Finger und kehrt die Chips mit ihren manikürten Händen auf den Boden. Dank Emanzipationsbewegung verzieht ihr Kerl keine Miene. Erkläre ihr ausschweifend, dass die Kinder in Afrika das gar nicht begeistern würde, wie sie mit Lebensmittel umgeht. Soll froh sein, dass es schon so spät ist und sie keine Vorbildfunktion für Kinder einnehmen muss. Würde bestimmt eine Rabenmutter abgeben.

Nun starren mich mindestens fünf Augenpaare ringsrum an und geben Zischlaute von sich. Aufmerksamkeit ist schon was Tolles. Man bleibt im Gedächtnis und wird Teil der Geschichte, wenn jemand fragt, wie der Film war. Man geht sozusagen in die Geschichte ein. Beschränke mich ab jetzt schmollend auf meinen Vordermann, der vorhin so rücksichtsvoll meiner Hustenattacke ausgewichen ist. Er sieht verspannt aus. Ich werde ihn freundlicherweise mal mit den Schuhen durch die Rückenlehne hindurch ein wenig massieren. Bevor er sich richtig entspannen kann, endet auch schon der Film. Der arme Kerl, muss er doch angespannt nach Hause.

Ich winke der Blondine hinterher, während sie ihren Typen krallt und aus dem Saal stürmt, ohne mich eines letzten Blickes zu würdigen. Hat es wohl eilig. Blöde Kuh. Auch das Mädel zu meiner Rechten zieht ihre Jacke an und will gerade aufstehen, als ihr Freund sie zurückhält. Sie regt sich ein bisschen auf, als sie wieder in den unbequemen Sitz plumpst. Nun wird es interessant. Ich lehne mich zurück und gucke dem Spektakel zu. Wenn ich schon nichts vom Film mitbekommen hab‘, kann ich wenigstens diesem Schauspiel beiwohnen. Sie muss wohl aufs Klo, er sagt nur „Runpee“ und hält ihr sein Smartphone vors Gesicht. Sie scheint so viel zu verstehen wie ich.

„Das ist eine App, die mir sagt, ob der Film einen Abspann hat, oder ob man direkt raus kann, um pinkeln zu gehen.“
„Das ist nun nicht dein ernst, oder? Ich muss jetzt aber mal!“
„Nun warte doch noch, da kommt gleich noch was. Deswegen ist das Licht auch noch nicht an.“
„Ja, wenn ich noch länger warte, kommt wirklich gleich was!“

Sie steht auf und guckt ihn erwartungsvoll an. Er reagiert nicht. Sie wirkt zunehmend genervter. Ich bin gespannt und amüsiert; sie kneift ihre Beine zusammen.

„Sag mal, musst du wirklich alles planen? Sogar, wann ich pinkeln gehen kann?“
„Nein. Nur wann ich aus dem Kinosaal gehe.“
„Das geht völlig gegen meine Prinzipien und Ideale. Ich hab’ dir schon mal gesagt, dass ich nicht mit einem Snob zusammen sein will. Dafür bin ich viel zu individuell und alternativ.“

Ich sehe genau, wie er sich ein fettes Grinsen verkneifen muss.

„Ich bin doch kein Snob, nur weil ich eine App hab, die mir wichtige Informationen aufzeigt.“
„Dann hab’ ich nun auch eine wichtige Information für dich: ich gehe notfalls auch ohne dich!“
„Aber… in einer Beziehung muss man auch Kompromisse eingehen, sagst du doch immer.“
„Eben. Der Kompromiss lautet: du löschst sofort diese bescheuerte App!“

Sie geht mit einem Marge-Simpson-Knurren an mir vorbei, tritt dabei noch meinen Cola-Becher um und verlässt den Kinosaal. Ich grinse breit und halte dem armen Kerl meine Chipstüte hin, mit den Worten: „Großes Kino, Alter. Ganz großes Kino!“

Er mag wohl auch keine Chips. Guckt mich doof an und hetzt ihr nun doch hinterher.
Während ich als einziger im Raum den Abspann ansehe, denke ich so bei mir, dass ich unbedingt ein Smartphone brauche.

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Ein Kommentar

  1. Die App „Runpee“ sagt dir vor allem, wann du im Film zum Pissen gehen kannst (langweilige Szenen). Und die Auswahl der Filme ist, naja bescheiden. Blockbuster eben.

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