Achtung Ruhezone! – Entspannung unmöglich

Nach einer arbeitsreichen und anstrengenden Woche freue ich mich auf einen entspannenden und erholsamen Nachmittag in einem im Jugendstil errichteten Hallenbad.
Der Spa-Bereich des historischen Ambientes ist nur für eine bestimmte Anzahl an Besuchern zu erreichen. Als ich die zahlreichen Becken mit Saunalandschaft, Kneipbecken, Solegrotte, Jod-Selen-Thermalbecken, Dampfbad und weitere Entspannungsangebote erreiche, freue ich mich über ein Schild: „Achtung Ruhezone! Bitte haben sie Verständnis!“.

Ich gehe die Treppe zu einer abgedunkelten Solegrotte mit Unterwassermusik hinab, freue mich über die „Wasserschlangen“ die es einem ermöglichen, ohne Kraftanstrengung ganz entspannt den Körper über Wasser zu halten, freue mich über die angenehmen Klänge, die ich unter Wasser zu hören bekomme, während ich auf der Wasseroberfläche treibe… und als ich wieder auftauche, fällt es mir erst richtig auf: Können die Badegäste nicht lesen? „Achtung Ruhezone!“.

Davon ist keine Spur. Kleine Kinder spritzen vergnügt mit dem Salzwasser um sich, andere unterhalten sich lautstark über Heldenfiguren aus dem Fernsehen, andere über Erlebnisse der letzten Zeit bis zur heutigen Begegnung.
Alles ganz selbstverständlich, als wäre es eindeutig, dass alle anderen Besucher auch an ihrem Leben teilhaben möchten und dankbar dem interessanten Gesprächstoff folgen.

Leicht reizüberflutet die blaue Solegrotte verlassen und schnell zum grünen Jod-Selenbecken gehuscht, in dem sich nur ein einziger Gast befindet. Ein schönes Plätzchen direkt auf den Sprudelliegen eingenommen, kommen schon die nächsten lautstarken Querulanten, die öffentlich gerne zeigen, wie kitzlig sie doch sind und wie lustig das doch alles ist.

Auch dort wieder die Flucht ergriffen. Unter der „Erlebnisdusche“ die einen Regenwald simulieren soll, wird mich wohl kaum jemand stören. Ich genieße, wie die schweren „Regentropfen“ auf mich niederprasseln und drehe mich langsam im Kreis, bis ich bemerke, dass schon zwei Gäste fußtippend vor dieser offenen Kabine stehen, die dieses Angebot auch nutzen möchten. Also verlasse ich den vermeintlichen Ruhepol und schleiche mich in das Dampfbad das sehr ästhetisch gestaltet ist und nur für ca 10-12 Personen Sitzplätze bietet. Ganz still setze ich mich zwischen zwei kleine Menschengruppen, die sich dann über die letzte Urlaubsreise und die Lieblingsserie im Fernsehen unterhalten. Die Besucher verlassen nach und nach den feuchtwarmen, dunkel gefliesten Raum und ich lehne mich mit geschlossenen Augen zurück und warte, bis endlich Ruhe einkehrt, als auch die zwei Männer den Raum verlassen, die zuvor wohl alle mitunterhalten wollten. Dann endlich: Stille! Für ca. 1 Minute lang, bis ein Pärchen die ruhige Atmosphäre durchbrechen musste, da sie vermutlich zu Hause schon genug schweigen und es nun in der Öffentlichkeit nicht so aussehen soll, als hätten sie sich nach so vielen Jahren, die ihnen ins Gesicht geschrieben und auf den Körper gezeichnet sind, nichts mehr zu sagen.

Mit erneut geschlossenen Augen überlege ich mir, wie ich am spektakulärsten für Ruhe sorgen könnte, ohne anschließend aus dem Bad geworfen zu werden. Lege mir im Geist Sätze zurecht, die ich, wie zu mir selbst, in die Runde werfen könnte.
Als dann ein Mann mit körperlicher Behinderung durch seine Betreuerin in den Raum geschleift wird und sich daraufhin mit ihr über die Angewohnheiten der ganzen anderen Betreuer und seine liebsten Freizeitbeschäftigungen unterhält, gebe ich auf.

Resigniert verlasse ich den Spa-Bereich und schlendere zum Außenbecken. Vorbei an den Halbstarken, die sich einen Spaß daraus machen, andere mit der Brausevorrichtung zu bespritzen, während sie sich vom harten Wasserstrahl die Schultern massieren lassen, schwimme ich zu einer Sprudellandschaft mit Düsen an kleinen Stationen in verschiedenen Höhen für Füße, Waden, Schenkel, Gesäß, Lenden, Rücken und Schultern. Während ich mich über die Fußmassage per Wasserstrahl freue, quiekt neben mir eine Frau, die ihrem Freund davon erzählt, dass ihr das Wasser die Hose runter zieht. Ich tauche meinen Kopf unters Wasser und genieße die Wärme, die meinen an der frischen Luft abgekühlten Kopf umgibt – und über die Stille! Weicher Wellenschlag durch Bewegungen im Wasser ausgelöst. Ansonsten keinerlei Geräuschquelle. Bis mir die Luft ausgeht und ich auftauchen muss, zu einer Wasseroberfläche, die sich nun mit noch mehr Besuchern gefüllt hat, die sich von den Düsen massieren lassen wollen.

Ich ergreife erneut die Flucht und verlasse den Badebereich nach 2 Stunden unruhigem Herumwandeln auf der Suche nach Entspannung komplett, obwohl 4 Stunden Erholung bezahlt waren.
In der Großraumdusche tummeln sich 3 Frauen, die sich über ihr Lieblingshampoo austauschen und sich gegenseitig heimlich beobachten, wie sie ihre nackten Körper abtrocknen. Als sie fertig sind und ich schon unter dem warmen Wasserstrahl stehe, rechne ich schon mit den nächsten Störenfrieden, doch es herrscht weiterhin Stille. Zum ersten Mal an diesem Abend ist es tatsächlich für mehrere Minuten mucksmäuschenstill.
Ich verlasse die Dusche ohne weitere jegliche akustische Störung und frage mich, warum es hier nur unter der Dusche möglich ist, zu entspannen und warum ich nun dafür zehn Euro bezahlt habe, wenn ich zu Hause eine „Ruhezone“ habe, bei der ich nicht mal ein Schild anbringen muss, das daraufhin ignoriert wird.

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2 Kommentare

  1. Bravo, Bravo, nyx!
    Einfach wunderbar geschrieben und das mit so viel Wahrheitsgehalt, dass es mich geradezu drängt dasselbe zu kommentieren. Gerade eben gestern erst erlebte ich ähnliches. Nach dem Fitnesstraining freute ich mich auf eine entspannende Sauna. Ich, als ruheliebender Mensch, der die Aus-Zonen schätzt, welche nicht von Vokalpenetranten übervölkert sind, wählte an diesem Tag die Sauna, um mal wieder so richtig ,,runterzukommen“. Aus der Erfahrung weiß ich, dass um die Zeit in der ich vorhatte zu saunieren die Sauna in der Regel leergefegt ist. Schnell hingelegt und zurechtgerückt spürte ich die angenehme Hitze und es tat gut einfach mal wieder für Sich zu sein, als da plötzlich von draußen wirres Geplapper aus der Duschzone zu mir in die Sauna drang. Schon stand der erste Kandidat in der offenen Glastür und ein kalter Schauer zog mir über den Rücken. Gleich gesellte sich auch schon dessen Freundin dazu und ich freute mich auf die wieder einkehrende Ruhe. Nach 5 Minuten knarrendem zurechtrücken auf hölzernen Pritschen fingen die Beiden an sich über privatestes auszutauschen. Um meinen Wunsch nach etwas Ruhe nonverbal zu signalisieren drehte ich mich kurzerhand mit dem Gesicht zur Wand, als plötzlich die Saunatür aufplatzte und eine Horde von Geronten wie plappernde Gecken die Sauna mit ihren über-entspannten Rentnerkörpern zupflasterten. Oh Backe – Gesprächsthema: Frührente, und die Tricks um sie zu erreichen! Für mich war die Sache gelaufen. Sauna adieu! Auch hier steht draußen ein Schild – Bitte Ruhezone beachten –
    Danke für Ihr Verständnis!

  2. Lärmterroristen allerortens: Im Kino frisst jemand drei Reihen hinter mir mit offener Faulfresse berstend Crunchy-Cracker-Chips, Marke extra noisy, um danach die knisternde Plastikpackung in der schweissfeuchten Achselhöhle als Dauerärgernis zu verstauen. Dann klingelt ein protziges Mobiltelefon mit dem unausweislichen Mopedfroschsignalton. Statt es auszuschalten wird mitten im Lichtspielhaus das vermutlich unvermeidliche Gespräch angenommen und konsonantenbetont über neue Frontscheinwerferblenden für den Dreier-BMW in bestem Undeutsch geklönt. Mein Sitznachbar furzt derweil mit Inbrunst die ersten Takte der Nationalhymne. Sein Sitznachbar und Saufkumpan nickt ihm mit einem garstigen Gröhlen zu und rülpst daraufhin seine komplette Postadresse hundertdreissigdezibelstark in den Saal. Ein paar picklige Teenager im Stimmbruch finden das Grund genug, um eine inhaltsleere Kommunikation über Konsolenscheisse zu starten, die aus einem Mix von ferkelähnlichen Quieklauten und öbszönem Gulli-Grunzen verblüffende Ähnlichkeit mit alten Scheiben von Guns´n´Roses aufweist. Hinter mir keifen zwei überschminkte Kaufhof-Chicks lautstark über verflossene Ex-Lover und in der ersten Reihe entdeckt jemand den chronischen Keuchhusten als neuartiges Stilmittel der postmodernen Ausdruckskunst. Rechts von mir höre ich öffnende Reisverschlüsse und ein schweres Atmen, das einem Asthmatiker beim Hundermeterlauf aus der aufgerissenen Futterluke entfleuchen würde. Danach ein keckerndes Kichern eines Kaspers. Jemand knackt Para-Nüsse mit einem Bohrschlaghammer. Ein anderer schneuzt eine Jahresration Papiertaschentücher in die ewigen Jagdgründe. Eine Horde wilder Elefanten ist ein billiger Abklatsch gegen dieses nasale Inferno. Und der Film hat noch nicht mal begonnen!

    Was ich am liebsten tun würde? Eine Handfeuerwaffe ziehen und diese Akustikverbrecher in die Hölle schicken. MIT SCHALLDÄMPFER natürlich!

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