Flusige Flohmärkte

Diesen Sommer verlangte mir nach der voyeuristischen Betrachtung von Müllexhibitionismus; ich verspürte den masochistischen Drang den Versammlungsort der unbelehrbaren Messies aufzusuchen: Ein Ausflug zu einem lokalen Flohmarkt dünkte mir eine gute Wahl, um sich den sonnigen Tag im Hier und Jetzt und Draussen zu vertreiben. Mein motorisiertes Vierrad brachte mich an das Tor zur Recyclinghölle und guten Mutes lief ich in mein Verderben.

Wie sind schwäbische Flohmärkte heutzutage strukturiert? Man trennt fein säuberlich, wie man es auch mit dem Hausmüll macht! Mit einem krakeligen Kreidestrich einer krustigen Kataleptischen teilen sich die Anhäufungen von gesammelten Ramsch und billigem Tand in zwei klare Lager. Linkerhand finden wir den echten teutonischen Trödel, aus alten Wehrmachtsbeständen und damit vorwiegend aus Kruppstahl bestehend und rechterhand den kostengünstigen Kitsch skrupelloser indischer Händler. Vom 1000er Großfamilienpack nach usbekischer Tradition von Kinderhand abgefüllter und bereits leckender Atomsäurebatterien bis zum 50 Euro-Zweireiher für den gepflegten Herrn, der auf der nächsten Aldi-Abendgala aufs Resteficken aus ist, findet sich hier alles, was der Zoll nicht beschlagnahmt hat, bei Ebay keine Sau ersteigern würde oder selbst die geisteskranken Chinesen nicht zu einer Suppe kochen können.

Ich entscheide mich für den Hunnensektor, und bereue meine Tat schon nach wenigen Minuten. Nichtsahnend kaufe ich einem bereits von innen und außen schimmelnden Seniorenpaar ein kleines hübsches Foto eines alten Autobuses ab. Die Farben sprechen mich an. Ich bezahle ohne Feilscherei den verlangten Kleinbetrag, aber bezahle dafür sofort und ohne Umschweife einen weit höheren Preis: Vater Schimmelzahn legt mir seinen verhärmten haarigen Affenarm über die Schulter, an Flucht ist nicht mehr zu denken und es juckt mich schon nach der ersten Sekunde.  Methusalix lehnt sich mit einem verschwörerischen Krokodilsblick und gasender Mundfäule verdächtig nahe an mein emfindliches Geruchsorgan. Ich ahne es schon. Er muss etwas loswerden. Die Zeit läuft ihm davon, die Maden tun sich bereits in seinem aufgedunsenen Leib gütlich. Was plagt diesen alten Mann, der sein Verfallsdatum längst überschritten hat, ist es der knackvolle Katheterbeutel, sind es blutige Hämorrhoiden, rumort Gertruds Kohlsuppe in den Gedärmen? Nein, es ist viel schlimmer. Er erzählt mir über einen kapitalen Umweg wieso sein Hund bei 34 Grad Außentemperatur auf dem zerschlissenen Beifahrersitz des unausweichlichen VW Passat Bj. 86 hinter geschlossenen Fenstern bei 67 Grad Innentemperatur seine persönliche Ausschwitz-Party feiert.

„Wisset Sie“, keucht mir der friedshofreife Geront ins Ohr, „Wir habbe den Friedrich ja ausm Tierheim geholt. Der wudde ja von seinem Vorbesitzer richtisch geschlagge. Des warn son Türk. Und dann habbe mir den Frieder einfach so gern gehabt, weil des is ja ein deutscher Hund, wisset Sie, den muss ma ja aus Mitleid nemme, wenn der von sonem Türk geschlagge wore is. Also der Frieder, so ein liebes Tier, den habe mir einfach wieder aufgepäppelt mit Landjäger und Weißbier und so. Und seitdem is der Frieder ja ein Lamm von einer Seel´, des sag ich Ihne!“ Zufrieden und den Rotz geräuschvoll hochziehend lehnt sich die wandelnde Luftverpestung auf zwei Beinen zurück und kratzt sich genüßlich am schloddrigen alten Sack.

Ich will hier weg, muss weg, dringend, aber eine Frage brennt mir auf den Lippen und bevor ich meine Neugier im Zaum halten kann, zweifle ich Frevler auch schon seine altruistische Wundertat an. „Ja und wieso sitzt das Vieh denn in der Karre?“

Da reckt der alte Recke sein unrasiertes Kinn, den Landser-Blick in die Ferne, vermutlich nach Stalingrad gerichtet und sagt mit feierlich-fester Stimme zu mir und tausend russischen Bolschewiken: „Wenn wir den Friederich rauslasse, dann fällt der immer Kleinkinner an. Des hat der bestimmt von dem Türke. Ich hab des schon imma geahnt. Dass die Araber ihre Hund auf deutsche Kinder abrichte!“. Genüsslich leckt er sich kleine braune Schnapsreste eines Jägermeisters aus den aufgesprungenen Mundwinkeln und wirft mir mit aufgeblasenem Pansen einen Blick zu, der mir ganz klar sagt: Ich hab diese unerhörte Verschwörung entdeckt, durchschaut und werde sie nun in der ganzen Welt verbreiten, denn ich habe die Pflicht und die Macht, in alle Ewigkeit, Amen!

Ich packe mein frisch erworbenes Kleingut, nehme den direkten Weg aus dieser muffigen Ansammlung Geisteskranker zu meinem abseits geparkten Automobil, steige ein und schwöre mir hoch und heilig, dass ich die nächsten Jahrzehnte Flohmärkte meiden werde. Versprochen!

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3 Kommentare

  1. Brilliant geschrieben, danke für dieses Kleinod Schreibkunst in Zeiten von Peter Henlein-Kolumnen und Grenzdebilen Post-von-Wagner-„Schriften“.

    Wieder einmal hat sich das RSS-Abonnieren gelohnt!

    Weiter so!
    Yeti

  2. Diese Sprache, diese Sprache! Einfach wunderbar. Ein von zynischer und boshafter Schreibkunst geradezu sprühendes Feuerwerk zu Ehren banaler Alltagstragödien mit Alltagstieren auf Alltagsschauplätzen. – Ich liebe es!

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