Das Leben stinkt nach Pisse.

Mir geht’s dreckig. Und wenn es mir dreckig geht, dann hol ich mir jemanden zum Reden. Freunde zum Beispiel. Oder Bekannte, wenn die Freunde nicht können. Oder eben wildfremde Typen mit Bierflaschen in ihrer schlaffen Hand, die nachts in der U-Bahn dösen – macht in Berlin kaum einen Unterschied.

Was alle gemein haben: Sie sagen mir das selbe. „So ist das Leben!“ heißt es immer. Der kategorische Schulterklopfer darf nicht fehlen (außer vom Penner, der riecht nach Urin) und dann kümmert man sich wieder um die eigene Welt. Tja, so steht man eigentlich doch immer allein auf weiter Flur, all die geheuchelten Freundschaftsbekundungen bis in alle Ewigkeit und noch viel weiter scheinen auf einmal nicht weiter zu reichen als der eigene Arm. Und überhaupt – was soll das heißen: „So ist das Leben!“?

Wenn Leben bedeutet, dass ich mich scheiße fühle, wie betitelt man dann die Zeit, die ich glücklich bin? Sterben? Ja, solche und ähnliche Blödsinnigkeiten jagen einem durch den Kopf, wenn grade nicht die Sonne scheint. Schuld ist folglich der Winter, das Arschloch. Alles grau in grau, vereiste Schneemassen hindern mich an meinem gewohnten Schritttempo (Hey, mein erstes Wort seit der neuen deutschen Rechtschreibung mit drei T. Wahnsinn!) und zwingen mich zum torkelnden Umhereiern über die Bordsteinkanten des märkischen Viertels.

Fassen wir mal zusammen: morgens aufstehen: Scheiße. Den tödlich anmutenden Alltag ertragen jeden Tag zur selben Zeit den gleichen Mist zu machen: Scheiße. Abends, wenn es schon wieder dunkel ist, nach Hause schlittern: Scheiße. Die einzige Zeit dem psychischen Stuhlgang aus dem Weg zu gehen bietet sich also zwischen Feierabend und ins Bett gehen. Man ist müde, geschlaucht, genervt, gereizt und soll sich so aus irgendwelchen Fingern gute Laune saugen. Na bravo!

Meckern bringt mich nicht weiter, jammern tun nur Waschlappen und sich aus dem Fenster stürzen ist nicht nur feige sondern im ersten Stock auch noch gehörig blöd. Was kann dem Durchschnitts-Deutschen da also helfen? Die anderen bürogebeutelten Lackschühchenträger kriegen das ja offensichtlich auch irgendwie über die Bühne, also was mache ich falsch? Ich entschließe mich auf das Niveau der Schlipsaffen zu begeben und kaufe mir eine Zeitung. Immerhin verstecken sich jeden morgen tief gefrorene Gesichter hinter weit auseinander gefaltetem Papier in den öffentlichen Verkehrsmitteln, da MUSS ja was zu finden sein. Und während ich meinen Blick so über die Titelseite schweifen lasse, fällt es mir auch direkt auf: Zwischen all den Lettern Schriftgröße 6000 pt. und den Tittenbildern Größe DD entdecke ich die tägliche Portion Leid für die verwöhnte Mittelklasse: Arme, kranke, schwache, alte, hungernde, allein gelassene Menschen schauen traurig in die Kamera und wollen etwas Mitleid. Und auf einmal sind alle meine Probleme ganz klein. Gäbe es eine Anlaufstelle für Probleme auf der Welt, wäre ich hinter 200.000 Leichensäcken und dessen Angehörigen ganz hinten in der Schlange. Und würde wahrscheinlich im Ausblick auf eine mehrjährige Wartezeit einfach wieder nach Hause gehen.

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Ein Kommentar

  1. Bravo! Endlich beschreibt mal einer das Lebensgefühl, wie sich der perfekt funktionierende Deutsche zu fühlen hat, zwischen Desillusionierungsphase und Rentenloch. Unzufriedenheit mit der persönlichen Lebenssituation macht ihn steuerbar. Der globalen Elite sei Dank. Doch wer den Mechanismus in der im Artikel beschriebenen Weise begriffen hat, darf hoffen. Jedenfalls – ein Beitrag voller erfrischender Einsichten und dazu noch wunderbar formuliert!!!!!!!

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