Früher war alles besser! Diesen Satz hab ich schon häufig gehört. Meist aus dem Mund der Generation, die es sich einst zum Ziel gemacht hatte, dass es ihre Nachfahren mal besser als sie selbst haben sollten. Der Ausgangspunkt dieser Überlegungen war ein solcher, der für mich heutzutage kaum mehr nachzuvollziehen ist. Erst recht nicht, wenn ich rückblickend auf eine sorglose Kindheit in behütet ländlicher Umgebung in einer intakten und liebevollen Familie und auf eine Schulzeit mit Bestnoten und vielen Freunden sehen kann. Mein größtes Problem war vermutlich zu dieser Zeit, wie ich wohl zu meinen Freunden komme, wenn mein Fahrrad mal wieder kaputt war und mich meine Eltern nicht fahren konnten.
Geschichtliche Ereignisse bekam ich nicht mehr deutlich zu spüren, daher interessierten sie mich auch nicht sonderlich. Ich wuchs in einer Zeit heran, in der die Wirtschaft stabil und die Euphorie groß war, dass es für immer so bleiben würde. Naturkatastrophen kannte ich in irrealen Bildern nur aus dem Fernsehen, Epidemien nur aus Büchern, Kriegsgeschichten hauptsächlich aus dem Mund meiner Großeltern. Ich bekam vermittelt, dass Drogen schlecht sind, dass Individualismus gut ist und dass man selbstverantwortlich für sein Denken und Handeln gerade stehen muss. Da man selbst keine nennenswerten Probleme hatte, half man freiwillig und ehrenamtlich denen, die Hilfe benötigten, ohne eine Gegenleistung zu erwarten.
Ich erinnere mich an zahlreiche Momente, in denen meine geduldigen Eltern mich einfach haben machen lassen, damit ich selbst lerne was richtig und was falsch ist.
Der erste Computer, die erste große Liebe, das erste Handy, die ersten Partys, der erste Vollrausch, die ersten Demonstrationen, der Führerschein, das erste eigene Auto, die Abschlussprüfungen, die Ausbildung, die erste eigene Wohnung, die Weiterbildungen, der Umzug in die ungewisse Fremde.
Ich kann nichts Schlechtes an diesem Verlauf feststellen. Und trotzdem findet man immer wieder einen Grund zu jammern und sich zu beschweren.
Als Kind war einziger Grund des Ärgernisses, dass die Straßenlaternen viel zu früh ausgehen und man somit vom Spielen schon nach Hause muss. Dann ärgerte man sich über das subjektiv zu niedrige Taschengeld. Das pubertäre Vergleichen mit anderen, das Abgrenzen ohne die Aufmerksamkeit verlieren zu wollen. Dann die Frage, mit welcher Arbeit man sich die nächsten ca. 50 Jahre beschäftigen will. Bekommt man überhaupt Arbeit? Arbeitslos sind immer nur die anderen. Hartz IV, Niedriglohn, 1-Euro-Job, Zeitarbeit, befristete Arbeitsverträge und unbezahlte Praktika waren für mich keine Themen. Dann kamen zusätzliche Rentenversicherungen, Praxisgebühren, Zuzahlungen, horrende Benzinkosten und aktuell die Wirtschaftskrise in die Liste der derzeitigen Probleme.
Aber geht es uns denn wirklich so schlecht? Wir sind die erste Generation, die noch nie Angst haben musste, dass ein Familienmitglied im Krieg fällt. Ich habe noch nie Hunger leiden müssen, hatte immer alles um meine Grundbedürfnisse befriedigen zu können.
Trotzdem oder gerade deswegen haben wir die Zeit und die Energie, uns über nervende Arbeitskollegen oder Kunden aufzuregen; über zu laute Nachbarn zu schimpfen; uns darüber aufzuregen, angeblich nichts dem Anlass entsprechendes im Kleiderschrank zu haben; heimlich den Autofahrer vor uns zu beschimpfen, weil er uns zu langsam fährt; uns über die Pfunde zu ärgern, die wir uns selbst angefuttert haben; über den Postboten zu wettern, der uns ständig Werbung einwirft, obwohl wir es selbst immer wieder vergessen, ein Schild „bitte keine Werbung“ anzubringen.
Es wird debattiert, ob man es heutzutage noch verantworten kann, ein Kind auf die Welt zu bringen. Man hat Angst ihm nicht alles bieten zu können, was es zum Leben braucht. Die Kinder sollen es schließlich mal besser haben, als man selbst. Aber was bitteschön gibt es heute nicht, was es vor 30 oder 60 Jahren noch gab?
Im Zweifelsfall kann man sich ja noch immer über das Wetter aufregen, da es im Sommer schließlich immer zu heiß, im Herbst immer zu nass, im Winter immer zu kalt ist und im Frühling der Sommer einfach zu lange auf sich warten lässt.

