Turning Point

Den vorangegangenen Artikel von nyx finde ich insofern sehr interessant, als er ein weit verbreitetes Phänomen skizziert, das uns alle anzutreiben scheint, nämlich das unablässige Streben zum Besseren hin und das Lamentieren darüber, wenn es mal nicht so läuft wie wir es uns gewünscht hätten. Ich will den Erklärungsversuch unternehmen, warum es trotzdem nicht immer so einfach ist auch als Wohlständler das Leben in seinem So-sein zu akzeptieren, auch wenn man versucht sich damit zu beruhigen, die Orientierung für ein glückliches Leben am menschlichen Armenhaus als Gegenpol festzumachen nach dem Motto: Es könnte ja schlimmer sein. Sicherlich ein Stück weit Selbstschutz um nicht durchzuknallen, weil sich die Existenz manchmal so anfühlt als wäre alles vernagelt und gar nichts mehr geht. Die abgelehnten Bewerbungen; die umständliche Lebenssituation, die längst einer Novellierung bedarf; die ausgelutschten Freundschaften. Dagegen ein Leben in den Slums oder möglicherweise von Stasi-Panzermutter Angela Ferkel per One-Way-Ticket in einen Kriegseinsatz nach Kabul versendet zu werden, in die Waagschale zu werfen, ist nicht unbedingt auf eine wohlstandsorientierte, sich im wirtschaftlich/kulturellen Wandel befindliche Gesellschaft anwendbar. Niemandem kann man es verdenken, wenn er sich nach dem Besseren sehnt und orientiert. Anderer Stand – andere Plage. Die Wohl- und Missstands-Skala auch in der so genannten zivilisierten Welt ist riesig. Sie reicht vom unzufriedenen Fabrikarbeiter in Reihenhaus-Romantik mit 1500 Euro im Monat bis zum Schaich mit Besitztümern, die das Jahresbruttosozialprodukt eines Industriestaates und mehr ausmachen. Wo ist der Maßstab? Woran macht der Mensch seine Zufriedenheit fest? – Fest steht, auch der Schaich hat zu meckern und wird das Wüstensandkorn auf dem goldplattierten Gemballa-Designer-Ferrari genauso entnervend finden, wie der Fabrikarbeiter den hingeworfenen Stein in seinem Schrebergarten. Letztlich ist der Garant für Unzufriedenheit derjenige, nämlich ein stumpfsinniges Leben zu leben, das nur eine Wiederholung von Wiederholungen darstellt. Die Fabrik betreten, im Wissen dass immer dieselben Handlungen den Tag bestimmen und die einzige Abwechslung die Variante davon sein wird. Der rettende Hupton entlässt den armen Kerl aus dem ,,sicheren Arbeitsplatz“ wieder in seine einstmals als Endziel gewählte Freiheit mit lärmender Kinderschar und jammernder Ehefrau mit Geldmankodepression. Aus seiner Entscheidung, die er in der Sturm-und-Drang-Periode leichtfertig geschlossen hat, hat er es nicht geschafft vom Beruf in die Berufung zu fallen. Feierabendglück vor der 47″LED-Flatscreen-Ambilight-Traummaschine an der Wand, das Krombacher in der Linken mit Einschlafgarantie schafft die nötige Tranquilisation um sich nicht mit seinen längst fälligen grundlegenden Lebensveränderungen auseinandersetzen zu müssen – Das wirkliche Glück – es lässt noch auf sich warten. Vielleicht klappts dann das nächste Mal mit Lotto – Mal seh’n. Und so verstreicht das Leben, das nur aus aneinander gereihten klitzekleinen Augenblicken besteht. Und genau dieser Moment wird vergeudet. Warum diesen Augenblick festhalten wollen? Im Wissen, dass das Leben fließt und die einzige Konstante dabei die Veränderung ist und bestimmt NIE alles so bleiben wird wie es ist, lassen sich so manche Veränderungen, auch die scheinbar negativen, besser ertragen. Wirklich frei ist nur derjenige, der sich NIE wirklich dauerhaft für etwas entschieden hat. Weil die Entscheidung FÜR etwas, ihn auf die Eine Seite schlägt und die Andere Seite für ihn somit für immer gelaufen ist. Somit ist er in der Polarität eines unumstößlichen Urprinzips gelandet dem wir alle unterworfen sind und es gibt kein zurück. Bhagwan Shree Rajneesh hatte es in den Siebzigern in Poona versucht zu vermitteln. Frei ist nur derjenige, der sich jenseits der Polarität bewegt. Der einzig neutrale Boden im Universum. Diejenigen die es verinnerlicht hatten, sind heute liebende freie Eltern mit erwachsenen Kindern, ohne Ressentiments, offen für die Welt und keineswegs korsettierte Spießbürger in Vorstadthöllen.

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8 Kommentare

  1. Mein Anliegen war es nicht, einen Maßstab der Zufriedenheit herzustellen oder einen Vergleich zwischen Wohl- und Missstand zu ziehen.
    Ich wollte aufzeigen, dass jeder ständig etwas zu bemängeln und bemeckern hat und dabei das Gute und Schöne des Lebens phasenweise völlig auszublenden droht.

    „Wirklich frei ist nur derjenige, der sich NIE wirklich dauerhaft für etwas entschieden hat. Weil die Entscheidung FÜR etwas, ihn auf die Eine Seite schlägt und die Andere Seite für ihn somit für immer gelaufen ist.“
    Glaubst Du das tatsächlich? Ich finde es sehr befreiend, mich guten Gewissens für etwas entscheiden zu können und dann aus den daraus resultierenden Konsequenzen neue Erfahrungen zu schöpfen und mich dann gegebenenfalls wieder umzuentscheiden.
    Ich denke dass es ein derzeitiges Gesellschaftsproblem ist, dass sich die Menschen nicht mehr trauen, eigenständige Entscheidungen zu treffen.
    Welchen Job will ich ausüben? – Bis ich mich entscheiden kann, empfange ich Hartz IV.
    Welchen Partner möchte ich an meiner Seite? – Bis ich es weiss, spiele ich mit den Gefühlen mehrerer Menschen.
    Was schenke ich meinem Onkel zum Geburtstag? – Ich kann mich nicht entscheiden, welchen der zwei hässlichen Staubfänger ich ihm einpacke, also tu ich einfach so, als hätte ich seinen Geburtstag vergessen.
    Welche Wohnung in welcher Stadt möchte ich? – Bis ich mich entscheiden kann, wohne ich bei meinen Eltern, obwohl ich schon vierzig bin.

    Wo soll das hinführen? Warum sollte es eine Endstation sein, eine Entscheidung zu treffen? Warum kann ich meine Meinung nicht einfach wieder ändern und mich umentscheiden? Was hindert einen daran, einfach mal ein Risiko einzugehen um vielleicht glücklich zu werden? Ich hab auch eine Zeit lang gedacht, ich dürfte mich nicht für etwas entscheiden, weil ich mich dann gegen 20 andere Dinge entscheiden würde. Ein wichtiger Mensch in meinem Leben, hat mir aber klarzumachen versucht, dass dem nicht so ist. Die Wege kreuzen sich eh immer wieder.

  2. Ich sage es immer wieder gerne: Leben bedeutet, nicht darüber nachzudenken. Den Augenblick genießen („Was für ein Schiss!“). Nicht im Geiste in der Vergangenheit („Was habe ich heute nur gegessen, um diesen braunen Horrorberg fabrizieren zu können?“) oder der Zukunft („Ich muss dringend neues Toilettenpapier kaufen!“) verweilen.

    Und: Was ist das Leben ohne Vergleich? Orientierungslos und langweilig. Fade und ohne Geschmack. Wie billige Tütensuppe.

  3. Oh, was hab‘ ich da bloß ausgelöst, mit meiner Aussage. Den Part NIE WIRKLICH DAUERHAFT in einem der letzten Sätze hätte ich wohl groß schreiben sollen. Die Nachricht sollte nicht sein, jedermann/frau solle anstehende Entscheidungen ignorieren um fortan in der Bewegungslosigkeit zu verharren. Entscheidungen, die auf langfristige Bindungen ausgelegt sind und jede Bewegung in Richtung ,,Umentscheidung“ einschränkt waren damit gemeint. Der Ehevertrag, der 25-Jahre-Lebensversicherungsvertrag, das neue Haus mit Zahlungsziel Sankt-Nimmerleinstag. Sorry, nyx – Ich hätte besser differenzieren sollen!

  4. Meintest du vom Turm springen, die Betonplatte küssen um querschnittsgelähmt die persönliche, bewusst ausgelöste Schönheit der Bewegungslosigkeit auszukosten?

  5. Ich rede vonm Loslassen, der freiwilligen Inkontinenz, dem Einnässen, dem Gefühl von feuchter Wärme, ein seliges Lächeln auf den Lippen, während die Blase ihre Pforte öffnet und den Kinosessel mit dem herben Duft der gelben Revolution markiert. Hast a Blas´, Nass da lass!

  6. Es ist unglaublich mk 411. Du solltest endlich mal rauskommen aus der analen Phase. Trotzdem – Niemand hat es bisher je geschafft, Ausscheidungsthemen so Tischfein in Worte zu fassen!!!!!!!!

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