Dein Wille geschehe

«Der Mensch kann zwar tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will.» (Schopenhauer)

Er starrt auf die Spitzen ihrer Lederstiefel und traut sich kaum sich zu bewegen. Er weiß, dass sie die Gerte schwingen würde, würde er den Blick anheben. Seit drei Jahren ist er schon ihr Sklave, erzählte sie mir vorab. Sie erzählt mir vor jedem neuen Kunden etwas über ihn und ihre Beziehung zueinander. Nicht alle Kunden sind Männer, obwohl ich das naiver Weise angenommen hatte. Er ist anscheinend trotz Ehefrau zu jeder Zeit in der Lage, auf ihre Bestellung hin hier zu erscheinen. Auch das rüttelt an meinem Weltbild. Welche Ausreden er dafür benutzt, interessiert sie anscheinend nicht. Sprechen darf er sowieso nur, wenn sie es ihm erlaubt und auch dann nur um zu antworten oder aber über seine Vorlieben zu berichten. Und die sind ganz offensichtlich devoter Art.

Ich sitze, ebenfalls still, in einer Ecke des Raumes auf einem Kissen, meine Hände an eine metallene Vorrichtung gefesselt, bei der ich noch immer nicht weiß, wofür sie ist. Für zwei Wochen darf ich die Herrin bei ihrer Arbeit genau beobachten. Die Kunden glauben ich sei selbst Kundin, die gerade mit Ignoranz bestraft wird. Daher tolerieren sie meine Anwesenheit.
Andere in meinem Alter machen während der Ferien ein Praktikum in der Bank, bei einer Boutique oder einer Schreinerei, ich absolviere meines bei einer Domina, unentgeltlich versteht sich. Anerkennen würde es mir vermutlich niemand, doch kann ich etwas über die Menschen und auch mich selbst lernen. Es ist nicht so, dass ich selbst Domina werden möchte, ich will nur ein bisschen herumexperimentieren und erfahren, was Menschen dazu bewegt, die Herrin aufzusuchen. Ich selbst wäge noch ab, ob ich eher die devote oder die dominante Rolle einnehmen würde, müsste ich mich entscheiden. Momentan mime ich das devote Schulmädchen, für die ich laut der Herrin am wenigsten schauspielern muss.

Nach einem brünetten Mädchen mit vielen Tattoos über den Körper verteilt, welches ich in meine Altersklasse schätzen würde, ist er der erste männliche Kunde, den ich miterleben darf. Nachdem die Herrin ihn dazu zwang, sich selbst glatt zu rasieren, damit seine Frau später auch noch etwas davon hat, sitzt er nun mit nacktem Arsch auf den kalten Fliesen und streckt ihr seine Erektion entgegen. An seinem rechten Nippel befestigte sie eine Klammer mit einem Gewicht, durch das er bei jeder seiner Bewegungen unter Schmerz das Gesicht verzieht und leicht aufstöhnt. Ich beobachte alles, während ich zusammengekauert unter meinem Arm hervorluge und darüber nachdenke, warum er sich so gerne quälen und schikanieren lässt.
Auf ihren 14cm-High-Heels stolziert sie um ihn herum, kontrolliert dabei mit der Gerte seine verrichtete Arbeit und ist mit dem Ergebnis anscheinend so zufrieden, dass sie zur Belohnung die oberen Knöpfe ihres Lederkostüms öffnet, bis ihre Brustwarzen hervorblitzen.
Nach einem kurzen Blick auf ihre entblößte Haut, habe ich das Gefühl anstandshalber wegsehen zu müssen. Sie ist aufmerksam und blickt mit einem schiefen Lächeln in meine Richtung, während sie ihn anherrscht, einen vorbereiteten Eimer aus der Abstellkammer zu holen. Dort hat sie mir gestern ihr großes Arsenal an Spielzeug gezeigt.
Sie verbietet ihm, sich selbst anzufassen, kennt ihn wohl schon so gut, dass sie weiß, dass ihn der Anblick der vielen Utensilien anmacht.

Sie schiebt ihren Rock etwas nach oben und setzt sich breitbeinig auf den schwarzen lackglänzenden Tisch, der in seinem Spiegelbild so manches offenbart, was mich dazu zwingt erneut wegzusehen. Mit barschem Ton weist sie ihn an, sich zu beeilen und den Eimer unter dem Tisch abzustellen. Ich nehme an, dass er für ihr Verlangen zu langsam war, da er drei Hiebe der Gerte auf seinem nackten Rücken zu spüren bekommt, als er sich wieder vor ihr niederkniet. Sie lässt ihm Zeit dem anscheinend sehr lustvollen Schmerz nachzuspüren, zieht ihn dann an seinem Schopf näher an sich heran und zwingt ihn, sein Gesicht unter dem Rock in ihrem Schoß zu vergraben. Ich konzentriere mich auf meine Fingernägel und sehe alle paar Sekunden beschämt auf, um nachzusehen, ob ich etwas verpasse. Sie hingegen hält den lüsternen Blick die ganze Zeit über auf mich gerichtet. Mag sein, dass es seinem Willen entspricht sich ihr anheischig zu machen, dennoch wirkt er absolut willenlos und das stimmt mich nachdenklich!

Warum nur ist er so willenlos? Besitzt er denn überhaupt einen eigenen Willen? Wäre es möglich, dass es ihm einfach reicht, das Gefühl zu haben, einen freien Willen zu besitzen und unbedeutende Entscheidungen zu treffen, während er fremdbestimmt wird? Eventuell war er ja dafür bestimmt, ihr zu dienen, ihren Wünschen nachzukommen und alles zu tun, was sie befiehlt. Kann man dabei von Determinismus sprechen, oder beschränkt sich dieser auf Naturgegebenheiten wie z.B. ausgewählte Kleidung aufgrund der Witterungsverhältnisse? Darf ich demnach weiterhin an Zufall glauben? Naja, für Glauben ist hier nicht der richtige Ort, wenn ich mich so umsehe.

Sie erzählte mir gestern von einem Kunden, der danach verlangte, gewürgt zu werden bis er ohnmächtig wurde. Mein erster Gedanke war, er wolle dem Tod nahe sein, hätte den Lebenswillen verloren. Sie erklärte mir, dass ihm diese Art der Atemkontrolle nur gigantische Orgasmen verschaffte und es mehrere Menschen gibt, die diesen Kick brauchen. Da er irgendwann nicht mehr auftauchte, nimmt sie an, er sei zu weit gegangen. Ich bat sie darum, bei solchen Kunden nicht zusehen zu müssen und vereinbarte mit ihr, jederzeit mein Praktikum abbrechen zu dürfen. Dabei kommt mir der Gedanke, dass die Triebe uns eventuell willenlos machen und uns beherrschen wie ein innerer Dämon. Die Herrin lächelt nur verschwörerisch, wenn ich ihr solche Fragen stelle, während wir alleine sind.
Wie verhält es sich mit diversen Krankheiten, die einem den Stempel Unzurechnungsfähig aufdrücken? Rauben die einem den eigenen Willen oder lässt der Körper einfach keinen Raum mehr dafür? Was ist mit Manipulation? Auch durch Gewalt lässt sich auf kurz oder lang jeder Wille brechen. Ich erhalte keine Antwort.

Sie entzieht sich ihm, schubst ihn zur Seite und zündet sich eine Zigarette an, pustet den Rauch in seine Richtung, schnippt die Asche auf den Boden und weist ihn mit harschem Ton auf den Dreck hin. Er versteht sofort, dass er nun den Boden auf allen Vieren wischen darf. Wie immer kommt er ihrem Begehren brav und ohne Widerworte nach. Und wie er mit gleichmäßigen Bewegungen auf den Knien über den Boden rutscht und jede einzelne Fliese schrubbt, steigt in mir der Gedanke auf, der Wille könne anerzogen sein. So wie die Herrin ihre Sklaven durch Züchtigung und Demütigung den eigenen austreibt und ihren dafür aufzwängt. Woher hat sie dann den Ihrigen? Oder werden wir alle bei bestehendem Willen nur zur Meinungsbildung erzogen und ich selbst besitze auch keinen Willen?
Die Meinung ihrer Kunden interessiert hier jedoch selten. Dabei frage ich mich, ob außerhalb dieser Wände deren Ansichten eine Rolle spielen und ob sie in der Lage sind, Veränderungen zu erzeugen und ihre eigene Meinung zu revidieren?

So könnte sie bestimmt sofort damit aufhören, ihren Sklaven zu demütigen und ihm konzedieren, auf der Stelle nach Hause zu gehen. Doch ihr augenscheinlicher Wille lässt das nicht zu und seinem entspricht dies vermutlich auch nicht. Wenn wir nicht nach freiem Willen handeln, bedeutet das nicht, dass es nicht trotzdem unserem Willen entspricht. Ich bin schließlich auch aus freien Stücken hier, obwohl ich mich in manchen Situationen frage, was ich hier zu suchen habe.
Als er erneut unterwürfig vor ihr kniet, nachdem er den Boden außerhalb meiner Reichweite bearbeitet hat, ist seine Erektion noch immer nicht abgeklungen, was die Herrin dazu anspornt, noch gemeiner zu ihm zu sein. Sie zieht ihm gewaltsam die Klammer vom Nippel ab und bohrt ihren Pfennigabsatz in seine Schulter, bis er sich wimmernd auf den Rücken fallen lässt. Mit eisiger Ignoranz geht sie klackernd an ihm vorbei, lächelt mich vielsagend an und verlässt den Raum um ein Telefonat zu führen. Als sie zurückkehrt, sieht sie dass er von mir abgewandt selbst Hand anlegt, was ihrerseits natürlich augenblicklich durch Schläge auf seinen Wanst bestraft wird.

Offenkundig wird ihm in ihrer Abwesenheit, auch wenn wir davon ausgehen würden keinen freien Willen zu besitzen, zumindest die Wahl gewährt, ob er nach links oder nach rechts geht, welchen Beruf er ausübt, was er zu Abend isst, wofür er sein Geld ausgibt, ob er die Rasierklinge im Gesicht oder an der Pulsader ansetzt. Das ist interessant zu beobachten, da wir diese und ähnliche Entscheidungen alle aufgrund unserer kulturellen Herkunft treffen müssen, die an einem anderen Ort vermutlich gar keine Rolle spielen würden. Was wiederum bedeutet, dass wir uns an ein System anpassen müssen, um einem freien Willen nachkommen zu können. Widerspricht das nicht dem, was ich mir unter einem freien Willen vorstelle? Oder verwechsle ich gerade die Begrifflichkeiten mit der Freiheit? Diese scheint dann hinfällig, sobald ich mir nicht aussuchen kann, in welche Kultur oder Gesellschaft ich hineingeboren werde. Wäre ich mit so viel Entscheidungsgewalt sogar überfordert?

Überforderung zeigt außerdem auch sein Gesicht, als es wenige Minuten später ungeduldig an der Tür klingelt. Er hatte nicht damit gerechnet Gesellschaft zu erhalten, da er bisher stets ihre ungeteilte Aufmerksamkeit genießen durfte, sofern man mich hier in der Ecke ignoriert. Auch ich weiß nicht was als nächstes geschieht. Sie scheint einen weiteren Sklaven eingeladen zu haben, dem sie noch im Flur befiehlt sich auszuziehen, bevor er das sogenannte Spielzimmer betritt.
Neugierig beobachte ich, was als nächstes passiert und bin froh darüber, nur passiv anwesend sein zu dürfen.
Zwei entgleiste Gesichter treffen aufeinander, als der nackte Neuankömmling auf allen Vieren an einer Art Hundeleine von der Herrin hereingeführt wird. Nach einer Schrecksekunde streifen mich zwei Augenpaare, die jedoch schnell zu erkennen scheinen, dass ich nichts damit zu tun haben kann. Daraufhin vereinen sich ihre Blicke zu einem einzigen vernichtenden Blick gegen die Herrin, die sich köstlich darüber amüsiert. Die beiden Männer scheinen zu ahnen, was geschehen wird, da beide so wirken, als würden sie sich am liebsten gegenseitig umbringen, oder gemeinsam die Herrin angreifen.
Würden sie jetzt aus den Normen herausbrechen, die uns zwingen bestimmte gesetzeswidrige Dinge zu unterlassen, würde sie spätestens durch System und Justiz den vermeintlich eigenen Willen abgesprochen bekommen. Also dürfen wir unseren Willen nur soweit ausleben, dass wir das System und dessen Konstrukt aus Regelwerken nicht gefährden und müssen uns zeitgleich für weitere Regeln und Strukturen entscheiden, die z.B. ein Job oder die Öffnungszeiten mit sich bringen. Würde wir nach Freiheit streben und uns dem System entziehen wollen, hätten wir nur die Wahl zwischen Auswandern oder auf der Straße leben, wobei Ersteres in ein anderes System zwängen würde, an welches man sich ebenso anpassen müsste. Und auf der Straße erscheint mir mein Wille nutzlos und Freiheit wird zur individuellen Definitionssache. Während sie für den einen der Marathonlauf bedeutet, ist für den anderen eine warme Mahlzeit alles was er an Freiheit braucht.

Für diese zwei Herren bedeutet im Moment Freiheit vermutlich einfach nur eine Herrin für sich alleine zu haben, ohne Konkurrenz und ohne Zuschauer wie mich. Diesem Wunsch scheint sie nicht nachkommen zu wollen, im Gegenteil. Sie spricht aus, was sie sich in den Kopf gesetzt hat und verlangt von ihrem braven Sklaven, der ängstlich und verärgert zugleich erscheint, ihre Rolle einzunehmen um über den anderen, der anscheinend wesentlich mehr Widerstand leistet, zu herrschen und zu befehlen. Beide sind wenig begeistert, gegen ihr Naturell handeln zu müssen und die Herrin scheint die Grenzen der Willenlosigkeit auszuloten, was es für mich als Beobachterin sehr interessant macht. Falls es einen freien Willen gibt, bedeutet das schließlich nicht, dass wir jederzeit danach handeln müssen.
Vielleicht ist der freie Wille auch nur eine Illusion und entsteht naiv wie wir sind durch Erfahrungen und Erinnerungen, ähnlich einer Konditionierung. Was wenn sie die beiden nun darauf konditioniert hat, das zu tun was sie verlangt – wie weit werden sie gehen? Dem Nachzüglersklaven passt es so gar nicht, dass er nun jemand anderes als seiner Herrin gehorchen soll, erst recht nicht einem Mann und versucht sich heftig zu widersetzen. Dies honoriert der andere Sklave zögerlich mit vorsichtigen Schlägen auf den nackten Arsch um für Züchtigung zu sorgen, wie es die Herrin von ihm verlangt.

Der eigene Wille erfordert zudem das Wissen um die Situation, die Handlung, den Gegenstand oder die Materie ansich. Sobald ich nichts von der Existenz einer Tätigkeit weiß, kann ich meinen Willen in keine Richtung definieren. So könnte die Herrin nicht von ihrem Sklaven verlangen, dass er mich von meinen Fesseln befreit, wenn er nicht wüsste was Fesseln sind oder wie die Kunst des Bonages funktioniert. Jetzt hätte ich allerdings gerne eine Erklärung, da ich keine Ahnung hab, was sie mit mir vorhaben. Ich fühle mich ausgeliefert. Das entspricht nicht dem ursprünglichen Plan und mir wird zunehmend klar, dass ich dem Gebieten der Herrin ebenso unterstehe, wie alle anderen in dem Raum. Dem wollüstigen Blick und der Erektion des Nachzüglersklaven nach zu urteilen, kann es so schlimm nicht sein. Ich frage mich, welche Motivation ohne jeglichen Willen noch hinter dem eigenen Sein steht, bis ich von der Herrin unter starken Schmerzen an den Haaren in die Mitte des Geschehens gezogen werde. Ich kann kaum klar denken und sehe nur noch nackte Haut.
„Was werdet ihr nun tun?“, höre ich sie mit funkelnden Augen und begeistertem Interesse fragen. Die Antwort der Männer kommt prompt: „Was immer du willst!“

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2 Kommentare

  1. Krass-o-mat! Harte Kost zum Frühstück. Skrupelfrei und hemmungslos. Irgendwie habe ich jetzt Lust bekommen „Knochenwald Teil 2“ zu schreiben.

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