Beide habe ich schon häufig besucht. Bis heute weiß ich nicht, wo ich mich wohler fühle. Ja, ich weiß, pietätlos. Klar, ist der erfreulichere Anlass die Hochzeit, sofern nicht gerade die eigene Liebe des Lebens heiratet, oder der größte Erzfeind verstorben ist. Das ist mir durchaus bewusst. Allerdings gibt es ein paar Gründe, die mich zweifeln lassen, bei welchem Anlass ich mich wohler fühle, die Personen mal außer Acht gelassen, welche die „Feierlichkeiten“ begründen.
Bei der Wahl der eigenen Kleidung fängt es doch schon an. Während ich nur sorglos in den Kleiderschrank greifen muss, um etwas traditionell Schwarzes in der Hand zu halten, zermartere ich mir den Kopf, was ich auf der Hochzeit tragen könnte. Das einzige was klar ist, dass weiß tabu ist und schwarz irgendwie unpassend. Welche Gäste sind anwesend, waren die auch auf der letzten Hochzeit? Würde gegebenenfalls jemand das Kleid wieder erkennen, passe ich da überhaupt noch rein? Welche Farben tragen die Brautjungfern, was trägt die Braut, falls sie nicht in weiß heiratet? Und schlussendlich klappere ich doch wieder sämtliche Läden ab, in der Hoffnung ein schönes neues und völlig überteuertes Kleid zu finden, welches ich dann doch nur ein einziges Mal tragen werde. Irgendwann fällt mein panischer Blick dann auf die nackten Füße. Also geht das Spiel von vorne los und die Suche nach den zum Kleid farblich passenden Schuhen beginnt.
Bei der Beerdigung ist es völlig egal in welchem schwarzen Fetzen ich aufkreuze, da niemand darauf achtet, was wer schon mal getragen hat und das Schwarz in der Masse verschwimmt. Schwarze Schuhe finden sich wie von selbst im Repertoire, ohne dass man qualvolle Stunden auf 10cm-Absätzen durchhalten muss. Den eigenen bad hair day kann man zur Not unter Hut und Sonnenbrille verstecken.
Da glaubt man, das Thema Kleidung sei damit abgehandelt, so geht es auf der Hochzeit direkt weiter, indem man der Braut heuchlerisch beteuern muss, wie schön sie doch in diesem lachsfarbenen Monstrum mit zu viel Tüll aussieht. Und natürlich sitzen Make-up und Frisur perfekt, man will ihr ja schließlich nicht den Tag versauen. Ebenso wäre sie beleidigt, hätte man etwas an der Farbe der Brautjungfernkleider oder gar der Dekoration auszusetzen. Auf einer Beerdigung fragt keiner, wie man sein Outfit findet, geschweige denn interessiert es irgendwen, ob etwas dekoriert ist und ob die Deko zum Sarg oder zur Urne passt. Dem Toten ist vermutlich auch egal, wie er aussieht.
Ebenso wurde ich im Anschluss an eine Trauerzeremonie noch nie gefragt, ob es mich auch zu Tränen gerührt hätte, weil es ach so schön war. Ich wurde auch nie gefragt, ob ich zum Toten oder zu den Verbliebenen gehöre, um mich in der Kirche auf eine Seite zu setzen. Neid und Eifersucht sind auf Beerdigungen auch wesentlich seltener vorhanden und man wird nicht gefragt, ob man selbst auch vor hat zu sterben, wie man sich die Feier für einen selbst vorstellt und wann es so weit sein wird. Auch wünscht sich sonst für Gewöhnlich niemand, an der Stelle des Toten zu sein. Man muss nicht versuchen den Strauss aufzufangen und kann sich beim anschließenden Leichenschmaus den Bauch voll schlagen, ohne dass man blöd angeguckt wird, weil man ja schließlich die Trauer irgendwie verarbeiten muss. Man muss sich keine Sorgen machen, was der Gastgeber denkt, wenn man sich als erstes vom Fest verabschiedet und Trauer eignet sich als beste Ausrede, um einem langweiligen Gespräch zu entfliehen. Ebenso darf man ruhigen Gewissens schlechte Laune haben und muss sich kein Lächeln ins Gesicht tackern.
Ich war schon als Begleitung auf Hochzeiten eingeladen, bei denen ich noch nicht mal das Brautpaar kannte, geschweige denn die anderen Gäste. Auf Beerdigungen kannte ich bisweilen mindestens den Verstorbenen und brauchte nicht mal eine Einladung, um auftauchen zu dürfen. Auch kann man da alleine aufkreuzen, ohne als einziger Erwachsener sein Namenskärtchen am Kindertisch entdecken zu müssen und von den anderen Gästen mitleidig angeguckt zu werden. Bei einer Trauerfeier musste ich mich außerdem nie in einer Schlange einreihen, um einen Nachtisch zu ergattern, oder das Essen beim Gastgeber gar überschwänglich loben. Die Streiche zur darauf folgenden Nacht fallen weg und niemand erwartet, dass man beteuert, wie schön die Feier war. Man muss dafür nicht mal hupend in einer Kolonne geschmückter Autos zum Ort des Geschehens fahren und in manchen Fällen begrenzt sich die Feier auf den Abschied des Junggesellen, ohne dass es erst der Anfang war.
Ich hab bisher auch nie erlebt, dass ein Toter oder die Verbliebenen während der Feier entführt wurden und von anderen gesucht werden mussten. Die Witwe sah ich auch noch nie ihr Strumpfband versteigern, sofern sie eins trug. Ebenso wenig musste ich mich bei einer Beerdigung in ein Gästebuch eintragen und mir entsprechend einen kreativen und passenden Spruch einfallen lassen, den man noch nach Jahren toll finden kann. Geschenke beschränken sich für Gewöhnlich auch auf Blumen oder ein Din-A6-Format. Niemand rennt gestresst rum, damit der Tag auch wirklich zum schönsten des Lebens wird. Man muss sich nicht ständig in Pose begeben, weil man fotografiert oder gefilmt wird und niemand fordert einen dazu auf, bei irgendwelchen Spielen mitzumachen oder zu tanzen. Die Musik ist im Normalfall eher dezent und für jeden Geschmack passend zum Anlass, ohne dass ein drittklassiger DJ engagiert werden musste. Der Gastgeber muss sich keine Gedanken machen, ob allen das Fest gefällt und ich glaube auch nicht, dass sich der Tote fragt, ob er aus der Sache noch mal lebendig raus kommt.
