Lust statt Frust…

Typisch Frau?

Katastrophenfreundin Camilla ging immer an die Schmerzgrenze, wenn sie ihren drei besten Stammtisch-Freundinnen neue Witze offenbarte. Sie war alles andere als zimperlich, wenn sie Leute verunsichern konnte. Der einst durch den VHS-Kurs „Lust statt Frust“ entstandene Stammtisch unterschied sich eigentlich nur dezent von anderen Stammtischen. Jeder hatte seine Vorlieben, um Frust zu bewältigen.

Anne-Marie zog sich zu gern alte Gummistiefel an, wenn sie bei Beziehungsfrust spontan die absolute Lust aufs Landleben packte. Dann stieg sie in den klapprigen Porsche ihres Freundes Günter Spätherbst und düste davon. Sie stiefelte gerne stundenlang in Gülle, wenn sie Zoff mit ihrem Liebsten hatte. Anschließend war Günter immer fix und fertig, denn er hatte ein ausgeprägtes und sensibles Riechorgan.

Jennifer war da ganz anders. Sie baute ihren Frust mit Lach-Joga ab. Ihre Grimassen schreckten regelmäßig Leute in der Fußgängerzone ab, wenn sie mal wieder keine passenden Schuhe fand. Einmal wurde sie sogar verhaftet, weil sie bei einer Polizeikontrolle ihren ganzen angestauten Frust bewältigte. Eigentlich fing es ganz harmlos an. Beim Fahren durch die Innenstadt ging plötzlich ihr Handy. Roberto ihr Chef war dran. Plötzlich schlenderte so ein Volldepp über die Straße. Sie musste stark abbremsen. Dabei flog ihr Handy in den Fußraum. Sie bückte sich reflexartig nach vorne, um nach dem Teil zu greifen, rutschte mit ihren High Heels ab und machte mit dem Wagen einen Satz nach Vorne. Einfach doof, dass genau vor ihr ein Zivilbeamter im Auto saß, der anschließend einen auf dicke Hose machte. Das war damals vielleicht ein tierisches Improvistationstheater. Der Volldepp mimte dann auch noch völlig unangebracht ein überfordertes Publikum. Jennifer, die Lach-Joga-Spezialistin, wollte absolut nicht ins Röhrchen blasen. Sie lachte dabei dermaßen entspannt, dass der Beamte dachte, sie hätte Drogen genommen. Ihre Pupillen reagierten auf diesen plumpen Taschenlampentest vehement nicht. Und so musste Madame zum Bluttest. Völlig lächerlich. Oh ja – das völlig entspannte Dauerlächeln hatte seine Tücken.

Irene hingegen bewältigte ihren angestauten Frust durch die Teilnahme an ganz unterschiedlichen Kursen. Jeden Abend saß sie in einem anderen Raum der VHS, um als Single nicht zu vereinsamen.

Montags saß sie in Spanisch für Fortgeschrittene, dienstags im virtuellen Angelkurs für Frühaufsteher, mittwochs nahm sie das Modellflugzeug-Bastelbuch in die talentfreie Hand, donnerstags wühlte sie stets aufgeregt in Unterlagen des BusinessWebmail-Gestalter-Kurses, lag wahrscheinlich am schnuckeligen Kursleiter. Freitag saß sie zunächst am späten Nachmittag im Kochkurs für einsame Herzen und anschließend im Integrationskurs für Graue Mäuse.

Deshalb konnte sie später am Stammtisch auch überhaupt nicht über Camillas blöden Witz lachen, den Anne-Marie übrigens nicht hörte, weil sie an jenem Samstagabend verhindert war. Sie marschierte tagsüber wieder stundenlang in irgendeiner Gülle eines Schweinbauers und nahm am Abend liebevoll Rücksicht auf ihre Freundinnen, aber nicht auf Günter.

„Backen ohne Mehl“, so lautete angeblich ein Kurs, den ihre Stammtischfreundin Camilla neulich im VHS-Programmheft gelesen hatte. Und fragte beim Stammtisch-Treffen dreist nach, ob sie diesen Kurs besucht habe.

“Nein!“, erwiderte Irene ziemlich aggressiv und verdrehte dabei argwöhnisch ihre Augen. Ihr Blick war alles andere, als gut gutgelaunt. Sie ahnte insgeheim, dass nun wieder irgendeine blöde Bemerkung von Camilla zu erwarten war oder ein doofer Witz.

„Dies wundert mich aber!“, säuselte Camilla mit einem leicht hetzerischen Unterton in der Stimme.

Jennifer stieß währenddessen Camilla unter dem Tisch an und setzte dann in die Debatte ein.

„Irene, da haste echt nix verpasst, wenn Du an dem Kurs nicht teilgenommen hast!“

Und ehe Camilla ein Wort sagen konnte, fuhr Jennifer fort: „Weißt Du, hm, der Kurs: „Backen ohne Mehl“ hätte mich absolut interessiert. Deshalb hab‘ ich mich sogar am Mittwochabend noch total abgehetzt, weil mein Masseur mich zunächst versetzt hatte. Ich kam also 10 Minuten zu spät an und klopfte vor lauter Hektik nicht einmal an die Tür. Beim Öffnen sah ich zwanzig Männer, die mit Isomatten auf dem Boden lagen. Sie übten anscheinend eine neue Form von Liegestützen. Blitzartig schloss ich die Tür. Da dachte ich mir schon, dass ich mich im Tag geirrt hatte.“

„Und dann?“, fragte Camilla ganz scheinheilig und naiv.

„Ja, dann ging hinter mir die Tür auf und die Kursleiterin fragte mich, was ich wollte.“

„Und dann?“, fragte nun auch ganz interessiert Irene, die gerade ihr großes Glas Johannisbeer-Schorle in die Hand nahm, um einen kleinen Schluck zu genießen.

„Dann sagte ich, dass ich eigentlich den Kurs „Backen ohne Mehl“ besuchen wollte.“, erwiderte Jennifer und hatte dabei Schwierigkeiten Ernst zu bleiben. Camilla wusste zeitgleich nicht, wo sie hinsehen sollte, denn sie ahnte nun schon, was kommen würde.

„Was geschah dann? Hat sich die Gnädigste mal wieder im Datum geirrt?“, fragte Irene ziemlich spitz.

„Woher weißt Du das?“, antworte Jennifer ziemlich cool mit einer Gegenfrage.

„Und dann? Was geschah dann?“ fragte Camilla, die sich zusammenreißen musste, um nicht zu kichern.

„Dann sagte die Kursleiterin ganz lapidar zu mir: Sie kommen zwei Wochen zu früh. Unser Kurs hat die Kursnummer 0815 und lautet: „Beischlaf ohne Frauen!“

Camilla und Jennifer genossen Irenes entsetztes Gesicht, lachten dermaßen vulgär los, so dass alle Leute im Lokal die Szenerie beobachteten.

Beide Frauen hatten allerdings nicht mit einer spontanen Frustbewältigung ihrer Stammtisch-Freundin gerechnet. Alles ging in Sekundenschnelle. Irene griff beherzt nach Jennifers Hefeweizenbier-Glas, das zu zwei Dritteln noch gefüllt war. In der anderen Hand hatte sie ihr Glas mit Johannisbeer-Schorle. Sie schüttete gleichzeitig, schön synchron in einem Bogen nach beiden Freudinnen. Und dies präzise genau… inmitten deren lachender Visagen. Da staunte sogar die ansonsten cool wirkende Wirtin Bleibtreu.

Sofort danach griff Irene ziemlich zickig agierend nach ihrer Handtasche und ging ohne ein Wort des Abschieds an die Theke, um ihre Zeche zu zahlen.

Jennifers und Camillas Lachen fror binnen weniger Sekunden ein. Wenn Blicke tatsächlich töten könnten, so wäre in jenem Moment Irene zweimal brutal ermordet worden. Dem Ende einer Frauenfreundschaft stand nichts mehr im Wege, außer dem Gedanken an eine Frustbewältigung.

©Corina Wagner, April 2012

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