Ich höre Geräusche. Ich kann sie nicht orten. Meine Augenlider sind zu schwer um nachzusehen, aus welcher Richtung diese diffusen Worte kommen. Dazu ein hoher und kontinuierlicher Piepston. Dann spüre ich einen Druck an meinem linken Arm, danach einen Pieks an einer anderen Stelle. Ich möchte den Arm wegziehen, aber mir fehlt die Kraft. Ich glaube auch, dass der Arm festgehalten wird, aber spüre keine andere Haut auf meiner eigenen. Das alles geht mir zu schnell und ich merke, wie ich langsam wieder wegdöse.
Ich weiß nicht, wie lange ich geschlafen habe. Ist es Tag oder Nacht? Mir ist sehr warm, daher nehme ich an, dass es Mittag sein muss. Ich schaffe es nicht, meine Augen zu öffnen, geschweige denn irgendetwas zu bewegen. Liege ich? Ich kann es nicht genau sagen, mein Körper gibt mir keinerlei Information. Es ist still um mich herum, aber ich höre weit entfernte Schritte. Ich weiß nicht, wie viele Menschen dort laufen und ob ich sie kenne. Mein Hals schmerzt.
Wie viel Zeit vergangen ist, weiß ich erneut nicht. Ich fühle etwas Lauwarmes an meinem Rücken. Liege ich auf dem Bauch? Sitze ich? Was ist das und warum? Es strengt mich an, die Reize nachzuvollziehen, die mir nun auch an den Beinen gesetzt werden. Verschwommen nehme ich Stimmen wahr. Es müssen mindestens zwei Personen sein. Sie sind mir jedoch nicht bekannt. Wo bin ich eigentlich? Jemand ist an meinem Mund, ich spüre es. Kann mich nicht wehren. Was soll das? Ich will nicht, dass mir jemand etwas in den Mund gibt.
Meine Nase juckt. Aus Reflex möchte ich mich mit der rechten Hand dort kratzen. Aber warum geht es nicht? Was ist los mit meinem Arm? Ist er amputiert worden? Ich kann mir das alles nicht erklären. Mein linker Arm ist meine letzte Hoffnung. Ich hebe ihn an und – ich spüre so etwas wie Stoff an meiner Nase. So fühlen sich meine Finger nicht an. Ich verstehe die Welt nicht mehr.
Ich glaube, ich habe lange geschlafen. Mein Rücken schmerzt. Ich wundere mich, dass ich nicht auf Toilette muss. Es ist doch sonst mein erster Gang am Morgen gewesen. Mir ist kalt. Endlich schaffe ich es, meine Augen zu öffnen. Alles ist grell und verschwommen. Deswegen schließe ich sie lieber wieder. Meine rechte Hand kann meinem Willen weiterhin nicht folgen. Ich taste mit der linken Hand. Nun spüre ich auch meine Finger wieder. Und ein Stück Plastik am Zeigefinger. Als ich es löse, fängt es hinter mir an zu piepsen. Erklären kann ich es mir nicht, aber kurze Zeit später höre ich eine Stimme und habe das Plastikding wieder am Finger. Die vermutlich an mich gerichteten Worte kann ich nicht verstehen. Bin ich vielleicht in einem anderen Land? Werde ich als Versuchsobjekt festgehalten? Ich habe Angst! Bald darauf piepst es wieder, nur schneller und lauter. Dann schlafe ich wieder ein.
Als ich wieder aufwache und langsam die Augen öffne, sehe ich wieder klarer. Ich sehe mich im Raum um, soweit ich blicken kann. Eine Wanduhr, die 11:20 Uhr anzeigt. Vormittags oder nachts? Die Zimmerbeleuchtung blendet mich. Neben mir sind Fotos aufgehängt. Ich erkenne die Personen. Das ist meine Familie! Und ein paar Freunde sind auch abgebildet. Wie können die es zulassen, dass ich hier so alleine liege? Nein, ich bin nicht mehr alleine. Gerade betritt eine blonde Frau den Raum. Ich habe sie noch nie zuvor gesehen. Sie kommt auf mich zu und lächelt mich an. Ob sie mit mir spricht, kann ich nicht genau sagen. Ich möchte sie fragen, was das hier alles soll, wo ich bin, wer sie ist und was mit meiner Familie ist. Alles was ich rausbekomme, ist ein seltsames Hustgeräusch. Das ist nicht meine Stimme.
Die blonde Frau lächelt noch immer und hebt meinen Kopf an. Unter mir raschelt es. Ich nehme an, dass sie das Kissen aufgeschüttelt hat. Nun sehe ich ein Fenster. Habe ich mich gedreht, oder war sie das? Ich habe es zumindest nicht gemerkt. Der Blick aus dem Fester zeigt mir einen Baum und ein Stück hellblauen Himmel. Es scheint also Tag zu sein. Befinden wir uns in einem Hochhaus? Meine Wohnung befindet sich im Erdgeschoss. Dort sieht es anders aus. Zu viele Eindrücke und Gedanken. Ich schlafe wieder ein.
Was ist das? Ich erschrecke und wache an einer Berührung auf. Als ich die Augen öffne, sehe ich einen Teil meiner Familie. Ich freue mich! Schon wieder fängt es an, hinter mir zu piepsen. Besorgt gucken alle dort hin. Sie sprechen miteinander, aber was sie sagen, verstehe ich nicht. Warum sagt ihr mir nicht, was hier los ist? Erst jetzt bemerke ich, dass ich sitze. Jedoch nicht auf einem normalen Stuhl, sondern in einem gepolsterten, mit hoher Rückenlehne auf der selbst mein Kopf noch Ablagefläche findet, Armlehnen und einer Plastikvorrichtung, auf der meine Füße abgestellt wurden. Sitze ich in einem Rollstuhl? Eine Frau betritt den Raum. Sie trägt die gleiche Kleidung wie die lächelnde Blonde. Auch sie habe ich noch nie gesehen. Ich weiß nicht, warum sie sich mit meiner Familie unterhält und worüber. Ich fühle mich ignoriert. Warum spricht niemand mit mir? Alle gucken mich nur an und lächeln, oder haben einen besorgten Ausdruck in den Augen. Und warum werde ich schon wieder so müde? Ich habe das Gefühl alles zu verpassen, weil ich ständig einschlafe. So wie sonst bei einem spannenden Film auf dem Sofa und man sich nach dem aufwachen ärgert, dass man das Ende verpasst hat, bei dem alles aufgelöst wird.
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Ich weiß nicht genau, ob ein Teil meiner Patienten ihre Welt so wahrnehmen, denn meist erinnern sie sich dann an diese Zeit des „Aufwachens“ nicht mehr.

Schreib endlich ein Buch – Ich werde es kaufen!
This is a real morbid vision!
„Schöner“ Artikel!
Lass das Gitarre spielen. Leg die Pinsel weg und schreibe. Deine Beruf erzählt dir soviele Geschichten, dass du andere daran teilhaben lassen solltest.
:) Freu mich natürlich über die Kommentare.
Aber: wo sollte ich anfangen, wo aufhören? Es gibt so vieles über die Welt der neurologischen Schädigungen zu erzählen, aber nichts passt zusammen. Zudem glaube ich, dass es sowas schon zu Hauf gibt.
Liebe nyx! Meinst du die Welt der neurologischen Schädigungen beschränkt auf spezielle Einrichtungen? Jeden Tag auch live zu erleben in deutschen Druckereien und Werbeagenturen. Du würdest dort auf ganze Nester solchartiger neurologischer Fehlsteuerungen stoßen. Irgendwann hab ich angefangen über die Ticks und Folies meiner Mitmenschen (auch meiner eigenen) nachzudenken und bin zum Ergebnis gelangt, dass möglicherweise das Eingesperrt-sein die Menschen in den Käfigwahnsinn treibt und sie beginnen zu trinken; rhythmisch mit dem Fuß zu wippen; sich zu ritzen; touretteartige Zuckungen auszuführen; die Barthaare auszuzupfen; Büroklammern verbiegen, Wurstzipfel im Rollcontainer sammeln – usw. usf.
Vielleicht entwickeln künftig auch Menschen Prionen im Hirn und das nächste Stigma was uns bevorsteht ist der Menschenwahnsinn und alles Gesocks trifft sich in konzentrischen Kreisen wiegend zum gemeinsamen Drop-Out im Uhrzeigersinn in der Fußgängerzone! Für alles existierende gibt es m.E die Körper/Geist-Analogie, die besagt, dass alles was sich im Hirn an Eindrücken sammelt, auch nach seinem Ausdruck schreit. Und der kommt in einer Druckerei nicht aus einem auf der Leinwand geführten Pinsel, oder einer kreativen Aktion, sondern aus dem Digitaldrucker. Menschen brauchen Auslauf, und das meine ich in des Wortes tiefster Bedeutung. Joggen am Abend macht möglicherweise den Kopf frei, aber nur bis zum nächsten tag beim neuerlichen Morlock-Schlachtfest per Sirene a la Time Machine.
Mh, ich bin mir sicher, dass Du von anderen Ticks und Auffälligkeiten berichten kannst, die jedoch kaum oder sehr selten etwas mit neurologischen Störungen oder Schädigungen zu tun haben, die im klinischen Alltag differenziert und diagnostiziert werden.
Ich denke aber, dass es sich auch darüber lohnen würde, ein Buch zu lesen ;) Also weißt Du ja, was Du zu tun hast.