Das Kunstwerk

Joseph Beuys:
„Jeder freie Mensch ist kreativ. Da Kreativität einen Künstler ausmacht, folgt: nur wer Künstler ist, ist Mensch. … Jeder Mensch ist ein Künstler.“

Von den Eltern zur Leinwand gemacht, ziehen sie die ersten Striche mit Bleistift, geben eine Zeichnung vor, welche Gestalt wir -ihr Abbild- später einmal annehmen sollen. Sie üben an uns, versuchen ein Stück ihrer Persönlichkeit an uns weiterzugeben. Wir sollen das tollste Bild von allen werden. Stolz präsentieren sie uns auf der Vernissage, obwohl wir noch gar nicht fertig sind.

Jeder der uns begegnet, darf uns ein bisschen zeichnen. Im Laufe der Zeit kommt immer mehr Farbe ins Spiel, Konturen heben sich von den glatten Flächen ab, geben uns Form und Struktur. Licht und Schattenseiten sind zu erkennen, uns werden Perspektiven gegeben. Einige machen sich mit grobem Spachtel an uns zu schaffen, andere wagen sich nur mit dem feinen Pinsel heran. Manche kratzen an der Farbe und hinterlassen somit ihre Spuren an uns.

Wenn jemand sein Handwerk nicht versteht, hoffen wir, auf einen talentierten Künstler zu treffen, der unseren Farben neue Leuchtkraft verleiht, uns ausbessert und Vergangenes übermalt. Mit viel Glück, lehrt man uns die Königsdisziplin, jemanden zu berühren, ohne ihn anzufassen. Von der Muse geküsst, möchte der phantasievolle Künstler durch Anerkennung und Aufmerksamkeit entlohnt werden. Er präsentiert uns und erhöht dadurch seinen eigenen Stellenwert. In jedem Detail vermutet er etwas Besonderes und kann sich nicht satt sehen.

Wir spiegeln die aktuelle Zeit, sind zeitgenössisch. Jedoch treffen wir nicht jeden Geschmack, möchten dennoch möglichst ästhetisch sein. Wir werden als schön empfunden, kritisch beäugt, man versucht uns zu interpretieren und zu verstehen. Wir lösen Gefühle aus und regen den Verstand an. Wir möchten nicht kopiert werden. Werden wir neben mehrere Bilder gehängt, möchten wir anders sein als die anderen und dennoch nicht völlig aus dem Rahmen fallen. Wir möchten uns abgrenzen und vielleicht sogar besser sein. Wir vergleichen uns mit denen, die so viel Ausdruck in sich tragen, dass man kaum mehr passende Worte findet, um sie zu beschreiben. Wir haben Angst, dass der direkte Vergleich unseren Wert schmälert.

Statt in einer Sammlung ein Bild von vielen zu sein, möchten wir auf den einen Kunstliebhaber stoßen, der uns nicht einfach gegen einen billigen Kunstdruck eintauscht. Wir wollen das Original sein. Wir möchten begeistern, indem wir einfach nur sind, was wir sind. Kunst, ohne künstlich zu sein. Am Ende des Prozesses stehen wir als vollendetes Kunstwerk. Handsigniert. Und vielleicht macht uns das für irgendwen noch wertvoller. Denn die Kunst besteht schließlich darin, für das geliebt zu werden was man ist, nicht für das, was man darstellt.

Verbreiten, teilen, infizieren!