Bettgeflüster

Wie Sandpapier, so rau und trocken fühlt sich sein Rachen an. Zum einen, weil er gerade noch stöhnend nach Luft japste; zum anderen, weil ihm Erinnerungen die Kehle zuschnüren.

Gerade eben noch, erlaubte sie ihm, alles mit ihr anzustellen was immer er wolle. Und nun liegen sie nebeneinander; nackt, verschwitzt, erschöpft und befriedigt. Sie löscht die Kerzen und schmiegt sich an ihn, stört sich nicht an seiner klebrigen Haut, legt ihre glühende Wange auf seine Brust und zeichnet mit dem Zeigefinger kleine Kreise um die harte Brustwarze. Sie liebt es, nach dem Sex in schützender Dunkelheit zu liegen, gemeinsam abzukühlen und zu reden. Fragen zu stellen, die sie sich bei Tageslicht nicht auszusprechen traut.
Vor fünf Wochen trafen sie sich zum ersten Mal. Sie sind neugierig aufeinander; alles noch so aufregend, so neu und ungewohnt. Jedes Bruchstück des Körpers wird fasziniert erforscht, jedes Detail aus dem Leben des anderen interessiert und begierig eingeatmet.

Er drückt sie fester an sich und streicht behutsam über ihre Gänsehaut. Ob er schon mal etwas mit einem Mann hatte, möchte sie in dieser Nacht wissen. Obwohl der Raum stockfinster ist, reißt er die Augen auf und stagniert in seiner Bewegung.

Das erste Mal seit Jahren denkt er zurück an diese eine Nacht. Als er in seinem Bett lag, neben ihm das aufgeschlagene Buch, über dem er eingeschlafen war. Er weiß nicht mehr, worum es darin ging, doch erinnert er sich sehr genau, wie ihm die Decke weggezogen wurde. Der Geruch von Schweiß und Alkohol dringt beißend in seine Nase, als wäre er wieder dort, in seinem Kinderzimmer. Der Mund wurde ihm zugehalten, noch ehe er realisieren konnte was los war, als ihm die Pyjamahose nach unten gezogen wurde. Zwei starke Hände packten sein Becken und drückten sein Gesicht gewaltsam in das Kissen, während das stinkende Maul, ohne ein Wort zu sagen, direkt auf seinen Anus spuckte. Dann fing es an, lichterloh zu brennen. Äußerlich wie auch tief in ihm drin, als wäre er mit Benzin übergossen und die Flammen würden sich bis in seine Gedanken, in sein Gehirn fressen. So fühlte es sich an.
Wie gelähmt, war er weder Herr seiner Stimmbänder, noch über einen einzigen Muskel seines Körpers, der in dieser Nacht nicht sein eigener war. Er gehörte einzig seinem Peiniger, bis dieser aufstöhnte und mit dem Geräusch des Reißverschlusses und den geflüsterten und doch eindringlichen Worten „Kein Wort! Zu niemandem!“ im erdrückenden Dunkel verschwand. Wie ein Häufchen kalte Asche blieb er allein zurück, sank in sich zusammen und hatte Sorge, beim kleinsten Windstoß die Glut erneut zu entfachen; wünschte sich einen starken Orkan, um sich darin in winzige Partikel aufzulösen.

Sie stupst ihn an, ob er eingeschlafen sei, wiederholt ihre Frage und gibt sich aus Müdigkeit mit seinem kargen ‚Nein‘ zufrieden. Er dreht sich zur Seite und rollt sich unter stillen Tränen so zusammen, wie er es damals tat, als sein großer Bruder den Raum verließ.

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